In der Glut der Leidenschaft
Michaela täuscht Euch nicht.«
Sofort entstand bei seinen leisen Worten tief in ihr eine kaum zu ertragende Sehnsucht. Doch sie durfte sich nicht noch mehr wünschen, schon gar nicht mit einem solchen Mann, mochte er nun ein Ausgestoßener sein oder nicht. Es war ihr ganz persönliches Gift, das alles zerstörte und Reue und Zorn auslöste.
»Ich brauche keinen Mann wie Euch in meinem Leben, Rein Montegomery.« Ihre Zukunft war vor langer Zeit zerstört worden, und ein dermaßen bekannter Mann hätte alle ihre sorgfältigen Pläne zerstört. So versuchte sie zumindest, sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Dennoch traf sie der Schmerz in seinen Augen.
Rein hasste es, dass ihn Worte noch immer verletzen konnten. Er bemühte sich um eine undurchdringliche Miene und schwor sich, sich vor Michaela nie wieder dermaßen bloßzustellen. »Ihr glaubt, ich hätte mehr als nur ein flüchtiges Interesse an Euch?« Er ließ den Blick über sie gleiten, und seine nächsten Worte kamen hart und scharf. »Glaubt es nicht.« Er nahm seine Jacke von der Bank. »Alles Gute, kleine Mörderin.« Er verschwand in der Dunkelheit, und Michaela konnte sich nicht von der Stelle rühren. Er wollte nicht mehr als all die anderen. Es hätte sie nicht dermaßen schmerzen dürfen. Sie hätte sich gewünscht, er würde sich von den übrigen Männern unterscheiden. Doch wollte sie nicht ohnedies allein und unbeachtet sein, um die vor ihr liegenden Aufgaben bewältigen zu können? Weshalb wünschte sie sich trotzdem, er möge ihr gegenüber nicht so gleichgültig und abweisend sein? Am liebsten wäre sie Rein nachgeeilt, doch die Rufe nach ihr wurden lauter. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als nach dem Umhang zu greifen und zu dem wartenden Diener zu gehen.
Rein sah ihr nach, und ein gefährliches Verlangen erfüllte ihn. Er presste die Lippen aufeinander. Jede andere Frau hätte er auf die kalte Steinbank gedrückt und verführt, bis sie die eigene Leidenschaft nicht mehr ertragen hätte. Doch Michaela war eine tugendhafte Lady. Sie hatte Recht. Er hätte sie nicht berühren dürfen. Er sollte froh sein, dass sie seine Fehler nicht kannte, sonst hätte sie ihm keinen einzigen Blick mehr zugeworfen. Ungeduldig zog er seine Jacke an und stöhnte, als er Michaelas Duft auffing. Er strich sich durch die Haare. Auf den Lippen glaubte er noch ihren Kuss zu spüren, und er dachte daran, wie ihr Körper sich an ihn gedrückt hatte.
Das Verlangen peinigte ihn. Er war so erregt, dass er in diesem Zustand nicht in den Ballsaal zurückkehren konnte. Er lehnte sich gegen einen Baumstamm, holte eine Zigarre hervor, biss das Ende ab und zündete sie an. Rauchringe stiegen in der kühlen Nachtluft hoch, die sein Begehren nicht dämpfte. Nichts konnte das, und dabei hatte er sich und seinem Ziel bereits Schaden zugefügt. Michaela übte Macht über ihn aus, und das war so schlimm, dass er nicht weiter darüber nachdenken wollte. Nur einen letzten Blick warf er noch zum Haus. Michaela verschwand soeben um die Ecke.
Lauf, kleine Mörderin, und verstecke dich, dachte er. Denn wenn ich dir noch einmal in der Dunkelheit begegne, könnte ich der Leidenschaft nachgeben und dich nicht mehr gehen lassen.
Michaela flüchtete sich zu einem Nebeneingang und warf einen Blick zurück, doch Rein war nirgendwo zu sehen. So einsam hatte sie sich noch nie gefühlt. Sie schloss die Augen, betastete ihre Lippen, auf denen sie seinen Kuss fühlte, und versuchte, die Gefühle zu verdrängen, die er in ihr ausgelöst hatte. Hinter James ging sie in die Küche.
Alle Gedanken an Rein schwanden, als sie die Dienerschaft in heller Aufregung vorfand. Die Leute liefen hektisch von einem Tisch zum anderen. Geschirr klirrte, und in der Eile stellten sie sich ungeschickt an. Eine Schüssel zerschellte auf
dem Fußboden, Sahne spritzte gegen die Wände. Schreie und Flüche erklangen.
Michaela hielt eines der Mädchen an. »Millie, beruhige dich.«
»Aber die Gäste essen alles so schnell auf, wie wir es zubereiten, Ma'am.«
Lächelnd rückte Michaela das Häubchen des Mädchens zurecht. »Die Gäste halten sich an die Getränke, bis ihr Nachschub bringt.« Millie sah sie zweifelnd an. »Niemand wird behaupten, es gäbe zu wenig zu essen, wenn sich die Tische förmlich unter der Last biegen. Damit würde er sich als Vielfraß hinstellen.« Michaela bemühte sich, den nasalen Tonfall ihres Onkels nachzuahmen. »Vor allem, wenn wir uns im Krieg befinden und Opfer bringen
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