In der Glut der Leidenschaft
nicht, wieso dieser und nur dieser Mann dermaßen auf sie wirkte.
Seine Lippen verwöhnten die ihren, doch sie wollte keinen Mann in ihrem Leben, konnte sich keine Bindungen leisten. Diesen einen Moment gönnte sie sich jedoch, weil er nicht mit Scham verbunden war und sie nicht anwiderte. Er war rein und frei von Schuld, und Michaela drückte sich fester an Rein, schob die Hände auf seinen starken Rücken und berührte das Medaillon.
Und diesmal erreichte er ihre Seele.
Seine Lippen strichen über ihren Mund, während er sie an
hob und gegen den Türstock drückte. Verwegen winkte sie das Bein an, um ihn besser fühlen zu können. Durch ihre dünne Hose spürte sie seine Erregung, und Hitze stieg in ihr auf. Doch plötzlich zog er sich aufstöhnend zurück, legte ihr die Hände an die Wangen und sah ihr tief in die Augen.
»Geh ins Haus und in deine sicheren Gemächer, kleine Mörderin. Und falls du mich brauchst, komme ich zu dir.«
»Woher willst du wissen, wann ich dich brauche?« Er lächelte wehmütig. »Ich werde es wissen.«
In ihren Augen fand Rein noch immer Leidenschaft und wusste nicht, wie er sich von ihr zurückziehen sollte, wollte er sie doch wieder an sich drücken und mit ihr fortreiten. Doch er ließ sie los, schob sie ins Haus und schloss die Tür.
Abwartend stand er da und flüsterte: »Geh, Michaela, bevor man dich mit mir findet.«
Michaela eilte in ihr Gemach, blieb stehen, zog die nassen Stiefel aus und holte tief Atem.
Ich bin lüstern, wie mein Onkel behauptet, dachte sie. Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden. Sie schloss die Tür ab, ging ans Fenster, zog den Vorhang zurück und entdeckte das Pferd in der Dunkelheit. Und dann sah sie Rein, wie er unter dem Blätterdach eines Baums stand und zu ihr herauf blickte. Die ganze Nacht hätte sie hier stehen können, doch sie wusste, dass er warten würde, bis bei ihr kein Licht mehr brannte.
Michaela griff nach einer Kerze und bewegte die Hand einmal, zweimal vor der Flamme. Erst dann ging Rein zu seinem herrlichen Hengst. Dabei hinkte er. Sie blies die Flamme aus, und als sich seine Gestalt allmählich entfernte und in der Dunkelheit verschwand, sank sie gegen das Fensterbrett. Zu ihren Füßen hatte sich eine Regenpfütze gebildet. Ihr schauderte, und doch war ihr warm. Tief in ihrem geheimsten Inneren fühlte sie sich lebendig und empfand eine ungestillte Sehnsucht.
Michaela schloss die Augen. Dieser Mann hatte ihr in einem einzigen Moment einer regnerischen Nacht gezeigt, wie es war, sich wieder als Frau zu fühlen, als Frau, die verehrt und begehrt wurde.
Argyle machte ein finsteres Gesicht, als er Montegomery wegreißen sah. Warum hatte sich das Mädchen von dem Mann erwischen lassen! Er gab sich selbst die Schuld daran. Argyle lenkte den Blick zu ihrem Fenster hinauf und dann wieder auf die dunkle Gestalt, die im Regen verschwand. Die beiden waren also Freunde, oder? Ob Michaela wusste, dass ihre Flucht durch das East End bei weitem nicht so gefährlich gewesen war wie dieser Teehändler? Argyle nahm sich vor, schärfer auf sie zu achten. Sie war tüchtig und schwer festzuhalten, und während er sein Pferd in den Stall führte, staunte er darüber, dass Montegomery es geschafft hatte, sie für kurze Zeit zu zähmen - und sie sogar zu küssen.
Der Bote wartete gelassen an der Hintertür der Küche und wollte nur mit Michaela sprechen. Mrs Stockard rang die Hände und blickte den Korridor entlang zum Arbeitszimmer des Brigadiers und dann zur Dienstbotentreppe in der Küche, über die Millie zu Michaela geeilt war, um sie zu wecken. Erleichtert atmete sie auf, als Michaela in Nachthemd und Hausmantel herunterkam und wie Aschenputtel auf der Treppe einen Schuh verlor. Beinahe hätte Agnes ihr zugerufen, sie solle sich beeilen, bevor der Bote entdeckt wurde.
»Agnes?« Michaela trat gähnend in die Küche. »Lieber Himmel, die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Millie sagte, ein Päckchen wäre für mich gekommen.« Michaela stockte, als sie den jungen Mann in einem schwarzen Mantel und mit Dreispitz, verbrämt mit Silber und Weiß, entdeckte.
»Mistress Denton?«
Ein Hindu, dachte sie. »Ja«, erwiderte sie vorsichtig und zog den Hausmantel am Kinn zusammen. Der attraktive, schlanke junge Mann kam näher. Er wirkte vertraut auf sie, und als sie den Grund erkannte, stockte ihr der Atem. Er schien es nicht zu merken, sondern überreichte ihr mit ausgestreckten Armen und gesenktem Kopf ein Päckchen, als
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