In der Hitze der Nacht
gefragt, ob ich dich küssen darf. Du hättest einfach nur nein sagen müssen, dann wäre nichts passiert.« Sie holte tief Luft. »Wenn du dich jetzt so ungern daran erinnerst. Das bedeutet doch, daß du es eigentlich gar nicht wolltest.«
»Du mußt eine gute Anwältin sein«, erwiderte Tina bissig. »Deine Ausfragetaktik ist jedenfalls nicht von schlechten Eltern.«
»Ich bin eine gute Anwältin«, erwiderte Mar schlicht. »Aber das hier hat nichts damit zu tun.«
»Nicht?« Tina blieb stehen. »Dann verfolgst du mich einfach nur so? Weil du gern Frauen verfolgst, die nichts von dir wissen wollen? Hast du ein Problem damit? Oder bist du in deiner Freizeit als Stalkerin unterwegs? So als Zeitvertreib?«
Mar lachte leicht. »Nein. Aber anscheinend habe ich meine Stalkerkarriere mit dir gerade begonnen. Tut mir leid.« Sie wandte sich zum Gehen. »Tut mir wirklich leid«, wiederholte sie mit einem weichen Blick in Tinas Gesicht, das sie böse anstarrte. »Alles.« Dann ging sie in die andere Richtung davon.
Tina wartete noch einen Moment ab, ob Mar zurückkommen würde – womit sie insgeheim rechnete, aber es geschah dennoch nicht –, dann durchquerte sie das letzte Stück der Fußgängerzone, lief an der großen Wiese vor der Bonner Universität entlang, auf der Studentinnen und Studenten in der Sonne lagen, und erreichte endlich die andere Seite, wo das Gebäude stand, in dem sie arbeitete.
Sie hastete die Treppe hinauf, ohne auf den Lift zu warten. Dazu war sie jetzt viel zu aufgewühlt. Die Anstrengung tat ihr gut, auch wenn sie schwer keuchte, als sie endlich den Gang zu ihrem Büro erreichte.
»Trainierst du für Olympia, oder was?« Mechthild kam ihr rundlich lächelnd entgegen.
»Ich bin zu spät«, erwiderte Tina, immer noch leicht um Atem ringend. »Ich wollte nach der Mittagspause rechtzeitig zurücksein.«
»Warst du aber nicht, und sie . . .« Mechthild wies mit dem Daumen in den Gang hinter sich, »hat es sowieso längst bemerkt. Du weißt, wie sie ist.«
Tina rollte die Augen. Ihre Chefin war nicht ihr Lieblingsthema. »Ich muß an meinen Schreibtisch.« Sie hastete weiter und ließ sich schnell auf den Stuhl vor ihrem PC fallen. Aber nicht schnell genug.
»Frau Bauer? Kommen Sie mal zu mir?« Der Klang der Stimme schnitt scharf durch die Luft.
Tina atmete tief durch und versuchte sich zu sammeln. Heute war wirklich nicht ihr Tag. Erst Geneviève, dann Mar, und nun auch noch . . . Sie stand auf und ging zu ihrer Chefin hinüber, die in einem abgeteilten Glaskasten saß, der sie das ganze Großraumbüro überblicken ließ.
»Wie sehen Sie denn aus?« fragte ihre Chefin.
Tina blickte an sich hinunter und stopfte hastig ihre Bluse in den Rock. »Tut mir leid, ich bin gelaufen. Ich wollte rechtzeitig zurücksein nach der Mittagspause.«
Ihre Chefin warf einen Blick auf die große Uhr an der Wand. »Nennen Sie das rechtzeitig?«
»Nein.« Tina senkte den Blick.
Frau Ewers musterte Tina von oben bis unten. »Wenn Sie Ihre Mittagspause für Besuche in einem Stundenhotel nutzen wollen, sollten Sie vielleicht besser planen.«
»Was?« Tina hob ruckartig den Kopf und starrte ihre Chefin an.
Susanne Ewers verzog die Mundwinkel. »So, wie Sie aussehen, mußten Sie sich wohl sehr hastig anziehen.«
Das war denn doch zuviel. »Selbst wenn es so wäre«, entgegnete Tina mit zusammengepreßten Lippen, »wäre das meine Privatangelegenheit. Sie können mir die halbe Stunde ja vom Urlaub abziehen.« Sie drehte sich um und ging zu ihrem Schreibtisch zurück. »Oder von den Überstunden«, fügte sie wütend hinzu. Denn davon hatte sie genug. Abends länger bleiben war eine Selbstverständlichkeit, aber einmal kurz die Mittagspause überziehen . . .
Sie atmete tief durch. Wenn sie tatsächlich so schlimm aussah, wie ihre Chefin angedeutet hatte, sollte sie wohl zuerst einmal den Waschraum aufsuchen, um sich frischzumachen. Hätte ich doch wenigstens Grund dazu, dachte sie. Einen anderen als nur den, zu schnell gelaufen zu sein. Wäre es doch nur wahr, was die Alte vermutet. Dann hätte ich wenigstens etwas davon. Sie lachte etwas bitter, während sie zum Waschraum ging. Mar hätte sicher nichts dagegen gehabt.
Mar . . . Sie dachte an die Begegnung zurück. Bonn war einfach viel zu klein, um sich nicht zu begegnen. Besonders in der Mittagszeit, wenn alle in der Stadt unterwegs waren. Sie hätte daran denken sollen. Aber sie hatte nur an Geneviève gedacht, mit Mar hatte sie überhaupt
Weitere Kostenlose Bücher