In der Hitze der Nacht
eindeutig Interesse an ihr, ich glaube, das bestreitest du nicht.« Gerlinde blickte Mar an und nickte. »Genau. Und sie . . . sie würde sich glaube ich schon ganz gern an deiner breiten Brust ausheulen. Bildlich gesprochen.« Sie schmunzelte.
»Du meinst, es geht ihr so schlecht?« Mar drehte sich noch einmal um, als könnte sie Tina irgendwo entdecken.
»Sie sieht aus, als bekäme sie jede Minute einen Nervenzusammenbruch«, sagte Gerlinde. »Glaub mir, ich kenne das. Schließlich bin ich nicht erst seit gestern Psychiatrieschwester.«
13
T ina betrat das Hotel und versuchte so schnell wie möglich am Portier vorbei zum Lift zu kommen, weil sie jedesmal das Gefühl hatte, daß er sie wissend angrinste. Er grinste gar nicht, aber Tina konnte sich kaum vorstellen, daß sie die erste war, mit der Geneviève sich in diesem Hotel traf. Und er wußte darüber Bescheid.
Als sie im Lift stand und die Türen sich vor ihr schlossen, bemerkte sie, daß er sie tatsächlich ansah, aber sie hatte das Gefühl, eher mitleidig. Er war ein älterer Mann, und manchmal stellte sie sich vor, daß ihr Vater so aussah, so freundlich, so anteilnehmend, so verständnisvoll. Ihr Vater, den sie noch nie gesehen hatte.
Die Türen trafen sich sanft in der Mitte, und der Lift fuhr los, nach oben.
Es war schon immer so gewesen, wenn sie sich mit Geneviève auf diese Art traf – normalerweise verdrängte sie es, aber heute kam es ihr richtig zu Bewußtsein: Sie kam sich billig vor.
Möglicherweise war es auch Dagmars Bemerkung, die sich danach in ihr Gedächtnis eingegraben hatte. Sie hatten nicht weiter über Geneviève gesprochen, ihre Mutter vermutete wohl auch gar nicht, daß Geneviève mehr war als eine Boutiquenbesitzerin, bei der Tina manchmal einkaufte, aber Dagmar hatte durch ihren spontan ausgesprochenen Eindruck etwas in Tina in Gang gesetzt, gerade weil sie nichts davon wußte, was wirklich zwischen Geneviève und Tina war.
Und nun hatte sie auch noch Mar getroffen. Auf dem Weg zu Geneviève. Was sie plötzlich dazu brachte festzustellen, wie gewaltig der Unterschied zwischen den beiden war, obwohl sie am Anfang eher gedacht hatte, Mar wäre Geneviève ähnlich, zumindest im Umgang mit Frauen. Mit zufälligen Begegnungen.
Nicht daß Mar eine Option darstellte. Erstens war Tina nicht verliebt in sie, und zweitens hatte Mar offensichtlich eine Freundin. Die sich vermutlich genauso damit abgefunden hatte, die zweite Geige hinter ihrem Beruf und vielleicht auch noch sonstigen wichtigeren Dingen zu spielen wie Tina. Aber im Gegensatz zu Tina hatte Mars Freundin zufrieden ausgesehen, eigentlich sogar glücklich. Und sie und Mar hatten gewirkt, als würde ihnen gegenseitig etwas aneinander liegen, als wären sie sich sehr nah. Als verstünden sie sich ohne Worte.
Das ist etwas, was ich mit Geneviève nie haben werde, dachte Tina. Ihr liegt nichts an mir, auch wenn es umgekehrt anders ist. Ich bin weder zufrieden noch glücklich, ich bin einfach nur aussichtslos verliebt.
Aussichtslos. Ja, das war es. Verliebt in die falsche Frau. Sie verzehrte sich nach Geneviève, aber Geneviève war das egal. Geneviève verzehrte sich vermutlich nach niemandem. Das lag einfach nicht in ihrer Natur. Ihr ging es um die konkreten Dinge des Lebens, Sex zum Beispiel oder auch Geld, Erfolg, für innere Werte hatte sie keinen Sinn.
Der Aufzug hielt, doch Tina stieg nicht aus. Sie konnte sich nicht entscheiden. Die Türen schlossen sich erneut.
Im letzten Moment schob Tina ihre Tasche dazwischen, und die Türen glitten von der Sicherheitseinstellung kontrolliert wieder in die geöffnete Position.
Ein zweites Mal schlossen sie sich fast wieder, bevor Tina sich entschied hindurchzugehen. Das Spiel kann ich ja nicht ewig treiben, dachte sie. Auf, zu, auf, zu.
Einmal mußte man eine Entscheidung treffen, das war ihr jetzt klar.
»Komm rein, es ist offen.« Genevièves Stimme antwortete auf Tinas Klopfen. Sie war schon da. »Du bist nicht gerade besonders pünktlich«, empfing sie Tina vorwurfsvoll, als die den Raum betrat und die Tür hinter sich schloß.
»Ich wurde im Büro aufgehalten.« Tina betrachtete Geneviève, die am Fenster stand. Hatte sie wirklich hinausgeschaut und auf Tina gewartet? Das konnte Tina sich kaum vorstellen. Geneviève nahm manchmal selbst mitten beim Sex mit Tina das Telefon ab.
Dennoch hatte sie es ganz sicher gehaßt, auf Tina zu warten. Gewöhnlich war Tina immer die erste, und Geneviève ließ sie warten. Was
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