In der Hitze der Nacht
sich besser, sobald Mar sie berührte. Ganz zu schweigen davon, wenn sie in ihren Armen lag. »Ich will dir nicht deine Zeit stehlen«, entgegnete sie matt. »Du hast so viel zu tun.«
Mar lächelte. »Unter anderem für dich. Du bist meine Mandantin. Ich werde dir die Zeit einfach auf die Rechnung setzen.«
Tina lachte überrascht auf. »Das wird ein teurer Kaffee!«
»Allerdings.« Mar grinste. »Aber ich denke, die Gesellschaft ist es wert, oder?«
Tina schüttelte leicht den Kopf. »Das muß ich mir erst noch überlegen.«
»Ich setze es dir natürlich nicht auf die Rechnung«, schloß Mar etwas ernsthafter. »Laß uns einfach gehen.«
»Du bist also tatsächlich quasi im Dschungel aufgewachsen?« fragte Mar eine halbe Stunde später, als sie im Café saßen.
»Unter anderem«, sagte Tina. Sie trank schon ihren zweiten Kaffee, und sie merkte, wie ihre Lebensgeister zurückkehrten. »Es war die letzte Station. Davor waren wir überall und nirgends. Aber immer in irgendwelchen Projekten. Ökologischer Landbau, indische Kommune, die Rettung der Welt im kleinen.« Sie seufzte.
»Das ist ja eigentlich lobenswert«, sagte Mar, »wenn auch für ein Kind sicherlich nicht die beste Umgebung.« Sie lehnte sich zurück. »Aber gut, ich verstehe nichts von Kindern. Das ist absolut nicht mein Gebiet.«
»Du hast recht«, sagte Tina. »Es war furchtbar. Nach außen hin sieht das immer so alternativ und frei aus, aber wenn man es von innen erlebt – Es ist das genaue Gegenteil. Horror.«
»Du Arme.« Mar beugte sich wieder vor. »Und davor bist du dann mit achtzehn geflüchtet.«
»Ja.« Tina nickte. »Allerdings hat die Welt auch nicht gerade auf jemand gewartet, der schnurstracks aus dem Urwald kommt. Ich konnte zwar eine ganze Menge, aber leider nicht das, was auf dem Arbeitsmarkt verlangt wird. Wie du dir sicher vorstellen kannst, ist meine Mutter kein Computerfreak.«
Mar lachte. »Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen.« Sie legte den Kopf schief. »Wie hast du es dann geschafft?«
»Ich habe gelernt, jeden Job gemacht, den ich kriegen konnte, nach Möglichkeiten Ausschau gehalten, mir vieles selbst beigebracht. Und irgendwann ergab sich tatsächlich die Gelegenheit einzusteigen.«
»Bewundernswert.« Mar nickte anerkennend. »Das schaffen manche Leute noch nicht einmal mit einer ordentlichen deutschen Schulausbildung.«
»Na ja.« Tina zuckte die Schultern. »Viel weiter werde ich wohl auch nicht kommen – ohne Papiere, die eine Berufsausbildung nachweisen. Aber es ist besser als nichts.«
»Und deine Familie . . . hast du nie kennengelernt?« fragte Mar vorsichtig.
Tina lachte hohl auf. »Ich wußte noch nicht einmal, daß ich eine habe.« Sie schüttelte den Kopf. »Meine Mutter hat nie davon gesprochen. Ihr früheres Leben war für sie abgeschlossen. So als ob es nie existiert hätte.«
»Da war das Erbe dann wohl eine große Überraschung für dich«, vermutete Mar.
»O ja.« Tina streckte sich ein wenig. »Und wie. Gerade hatte ich von meinem Großvater erfahren, da war er auch schon tot. Mein Vater ist anscheinend Professor, aber ich weiß nicht, wo und für was. Und wie mein Onkel und meine Großmutter zu mir stehen, möchte ich eigentlich gar nicht erst wissen. Mein Großvater jedenfalls hat mich abgelehnt. Für ihn war ich nur ein Bastard.«
Mar zog die Augenbrauen zusammen. »Muß ein übler Kerl gewesen sein. Ich hoffe, du nimmst dir das nicht zu Herzen.«
Tina zuckte die Schultern. »Ich kannte ihn nicht. Im ersten Moment tut es natürlich schon weh, wenn einen jemand ablehnt, ohne einen überhaupt zu kennen, aber was soll man dagegen machen? Die Meinung eines Toten kann man nicht mehr ändern.«
»Das ist richtig.« Mar nickte. »Was die Lebenden anbelangt, ist es aber vielleicht einen Versuch wert. Du hast bisher noch keinen Kontakt mit ihnen aufgenommen?«
»Nein.« Tina schüttelte den Kopf. »Ich dachte, daß vielleicht meine Mutter und ich zusammen – Aber sie hat das alles telefonisch mit ihrem Bruder geregelt. Und als das Geld da war, ist sie wieder nach Südamerika abgedüst. Sie sagt, sie kann es gut für die Kinder in den Schulprojekten dort gebrauchen.«
»Und deine ehemalige Chefin anscheinend auch.« Mar lachte. »Ich kann es immer noch nicht richtig fassen, wie das abgelaufen ist.«
»Ich auch nicht.« Tinas Mundwinkel verzogen sich ebenfalls leicht nach oben. Das erste Mal seit Stunden. »Es hat etwas Surreales.«
»Absolut.« Mar schaute sie erstaunt
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