In der Hitze der Stadt
trug Anzug und hatte gute Manieren. Kommissar Baumer nahm sein Handy. Er stellte die Telefonnummer seines Freundes ein.
Es läutete.
6
Mit dem Mobiltelefon am Ohr ging Baumer vom ilcaffè aus die Falknerstraße hinunter in Richtung Marktplatz. Er hatte die Nummer des Gerichtsmediziners Marco Regazzoni gewählt. Während Baumer auf die Verbindung wartete, sah er seinen Gesprächspartner vor seinem geistigen Auge.
Regazzoni war fast gleichen Alters wie Baumer und Heinzmann, schlank, schwarze Haare. Er war ein Dr. med. und seit mehr als 12 Jahren Gerichtsmediziner in Basel. Zu Beginn seiner Karriere hatte er noch gehofft, Professor an der Basler Uni zu werden. Schlussendlich gab er ja bereits mehrere Vorlesungen an der von Papst Pius II. im Jahr 1459 gegründeten Universität und war auch ein Meister seines Fachs.
Aber die Universität war trotz ihrer Historie, oder vielleicht gerade deswegen, nur an wenigen Instituten auf der Höhe der Zeit. In zu vielen Teilen war sie eine verknöcherte Provinzuni, mit grauen Eminenzen an jedem Institut und auf jedem Stockwerk. Mittlerweile rangierte sie nicht einmal mehr unter den hundert besten Universitäten der Welt – oder war es Europas? Trotzdem hatte ein Tessiner ohne Stammbaum keine Chance an ihr. Marco Regazzoni war grad gut genug, den Söhnen und Töchtern alteingesessener Familien sein hart erarbeitetes Fachwissen zu vermitteln. Mit diesem Rucksack und ihren vielen Beziehungen, hatten die dann sämtliche Vorteile im Gepäck, um prächtige Stellen zu besetzen – natürlich nur aufgrund ihrer hervorragenden Leistung, wie es dann jeweils in der Basler Zeitung hieß.
Obwohl der Tessiner als einfacher Gerichtsmediziner arbeitete, war er in der Polizei nur als der »Professor« bekannt. Wenn Regazzoni mit diesem Titel angeredet wurde, schmerzte ihn die Anrede ebenso, als würde ihm ein verkrusteter Verband von einer breiten Wunde abgerissen. Jedes Mal blutete es von Neuem.
Es raschelte in der Leitung. Baumer hörte eine Stimme.
»Hallo?«
»Regazzoni?«
»Ja. Sind Sie das, Baumer?«
»Ja«, antwortete Baumer kurz angebunden. Er brauchte selten viele Worte, schon gar nicht, wenn es um einen Fall ging. Regazzoni würde das sicherlich verstehen. Regazzoni war wie Baumer ein Handwerker, kein Mundwerker.
Sogleich klärte der Kommissar den Gerichtsmediziner darüber auf, was er von ihm wollte. Er musste so schnell als möglich in Erfahrung bringen, welche Spuren man an der Tatwaffe gefunden hatte. Vielleicht hatte sich der Täter an der Tatwaffe selbst verletzt, vielleicht gab es auf der Leiche irgendwelche Speichelspuren oder auch Haare. Mit denen könnte man DNA-Profile erstellen. Die müsste der Gerichtsmediziner mit den Profilen der Verwandten vergleichen. Irgendeiner davon konnte der Mörder sein. Heinzmann hatte ja vermutet, dass der Täter in der Familie zu suchen sei. Auch Gianni hatte das gesagt. Vielleicht hatten die beiden Recht.
»Das habe ich alles schon aufgegleist«, erklärte der Mediziner dem Kommissar. »Ich will jetzt ins Spital gehen. Mutter und Vater sind ja da, wurde ich von Schneider informiert. Ich muss mich beeilen, damit ich dort die standardisierten Proben nehmen kann. Dazu gehört auch die Untersuchung des Vaters«, der Mediziner schnaufte schwer, »man weiß ja nie.«
»Sammeln Sie bitte auch DNA-Material von der Mutter«, sagte Baumer eindringlich und erschrak selbst über das, was er soeben ausgesprochen hatte.
»Der Mutter?«, staunte Regazzoni. »Das meinen Sie jetzt nicht im Ernst, oder?«
Meinte es Baumer ernst? Könnte die Mutter ihr eigenes Kind umgebracht haben? Der Kommissar überlegte. Wenn einer in der Familie verdächtig war, dann waren alle verdächtig. Die Mutter ist auch zu untersuchen, beharrte Baumer folgerichtig, weil er darauf beharren musste.
»Entschuldigung. Da muss ich gleich nochmals einen Schluck nehmen«, vernahm Baumer, und es wuschelte in der Leitung. Der Kommissar hörte Glas auf Glas schlagen, Regazzoni schenkte irgendetwas ein. Als sich der Tessiner wieder meldete, fragte Baumer baff: »Trinken Sie etwa, Regazzoni? Jetzt?«
»Ja, ich muss dringend etwas intus haben«, bestätigte der Gerichtsmediziner ein wenig genervt.
»Sie wollen doch jetzt nicht zu saufen beginnen.« Er konnte nicht verstehen, warum der sonst so korrekte Mediziner auf einmal mitten im Tag zur Flasche griff.
»Hören Sie, Baumer«, sprach der Mediziner und hatte in der Stimme bereits ein ganz feines, fast zärtliches Ruckeln. »Ich
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