In der Hitze der Stadt
läutete das Telefon Sturm. Alle möglichen Leute wollten etwas von ihm, mussten Anweisungen erhalten, was zu tun und abzuklären sei. Allen hatte er Orientierung und Halt gegeben, falls nötig, manchmal auch eine Belehrung. Der Polizeichef fühlte sich wie der Papst im Vatikan.
Schneider liebte diese intensiven Tage, wo alle Fäden bei ihm zusammenliefen. Tage, an denen er ganz der smarte Entscheider sein konnte. Im Projektmanagement war er denn auch einsame Spitze. Er wusste genau, wie das geht. Erstens das Problem erkennen. Zweitens die Ursache des Problems finden. Drittens entscheiden, ob Ursache behoben werden kann. Viertens die Aufgaben verteilen. Fünftens den Ameisen beim Wursteln zusehen und sie, wenn erforderlich, in den Allerwertesten treten. Dann – ganz wichtig – als letzten Schritt: Erfolg auf eigene Mühle leiten. Und bei einem Misserfolg? Auch das wäre kein Problem für ihn. Bei jedem Projekt war die wichtigste Tätigkeit eines Managers, schon zu Beginn einen Schuldigen zu bestimmen, falls etwas in die Hose gehen würde.
Schneider war »The Big Boss«, und das machte ihm höllischen Spaß. Er hatte schon längst begriffen, dass die Leute umso beeindruckter von einem Vorgesetzten waren, je schneller er entschied – egal, ob die Entscheidung richtig oder falsch war. Die Haare schön frisiert, den Befehl frisch herausgestoßen. Das ist der ganze Trick.
Der Kommandant der Kriminalpolizei spürte es. Heute war der Tag, um den letzten Zweiflern zu beweisen, dass er in diesem Chaos ein Leuchtturm war, der jedem Sturm trotzt. In Zukunft würden seine Leute sich nur noch an seinem Licht orientieren.
Der junge Jurist spürte ein mächtiges Feuer in seinem Inneren prasseln. Er nahm die Hitzestrahlung als eine Energie wahr, die ihn von der Spitze der Kriminalpolizei noch viel weiter treiben würde. Schneider sah seinen Weg zum Regierungsrat bereits vorgespurt. Es müssten einfach noch mehr Leute in dieser Stadt von seinen Fähigkeiten wissen. Mit Hilfe seiner Beziehungen direkt in die Presse zu kommen, das war ein Klacks. PR ist viel mehr wert als jede Werbung. Mit der richtigen Berichterstattung würden ihn die Leute in Basel dann ohne Zweifel und freudigen Herzens wählen. Er würde der Stadt vorstehen und irgendwann hinge ein Portrait in Öl von ihm in seiner Zunft.
Regierungsrat.
Stadtpräsident von Basel.
Das sah Schneider als seinen vorbestimmten Weg an. Er würde diese Stadt regieren und wäre dank seiner Einheirat in eine mächtige Basler Familie protegiert, zum Sonnenkönig mutiert.
Nicht, dass ihm Basel allzu sehr gefiel. Ihm war Basel letztlich völlig egal. Für ihn war diese Stadt am Rheinknie mit ihren nicht einmal mehr 200.000 Einwohnern nur Mittel zum Zweck, um seine politische Karriere zu starten. Ihn interessierte es keinen Deut, ob diese Stadt eine traditionelle Humanistenstadt war, weltoffen und fremdenfreundlich, mit vielen kulturell interessierten Bürgern. Der Kriminalpolizeichef verlor keine Emotionen an dieses Kaff, wie er es heimlich nannte. Einzig, es wurde ihm nur immer deutlicher bewusst, wie wenig seiner Stammwähler noch in Basel wohnen blieben. Viele Mittelständler verabschiedeten sich in die Vororte im Baselbiet, im Aargau oder grad ins Ausland. Die holländischen und deutschen Ärzte und die amerikanischen und indischen und ukrainischen Wissenschaftler, die für die auswandernden Basler nachrückten, zählten für den Politiker, der er war, nicht. Die durften nicht wählen. Da musste seine Partei gehörig aufpassen, dass sie überhaupt noch genügend Wähler fand, die sich durch die offiziell verordnete Basler Schön-Wetter-Rhetorik noch blenden ließen.
Seine Klientel behauptete sich denn auch nur noch knapp in den letzten bürgerlichen Quartieren im Großbasel und natürlich im Villenviertel, hoch oben auf dem Bruderholz. Im Kleinbasel sah es hingegen anders aus, war sich Schneider bewusst. Dort lebten viele Migranten ohne Schweizer Pass, ein bedeutender Teil davon Muslime. Wenn er dann noch genug Energie hatte, ins Horburgquartier zu gehen, fand er endgültig, dass dies kein Ort war, in dem sich ein Wahlkampf lohnen würde. Nicht selten sah er im minderen Basel Frauen, denen gerade noch der Sehschlitz gelassen war, um die Welt zu betrachten. Vielleicht wollen diese Frauen es auch tatsächlich so, dachte Schneider. Eine Uniform kleidet, und man ist gleich wer, auch ohne Bildung. Und wer sich unterordnet, kann sein Hirn ausschalten. So lebt es sich leichter.
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