In der Hitze der Stadt
Briefkopf des Kantonsspitals. Nach dem Briefkopf kam der Absender.
Prof. Dr. med. Joachim Kaltmann.
Es folgten alle Titel und Funktionen, die der Mann im Spitalbetrieb innehatte. Das brauchte allein fünf Zeilen. Es wimmelte nur so von Bezeichnungen wie Direktor von diesem, Leiter von jenem.
Schneider las das Fax Zeile für Zeile, die übertragen wurde. Und mit jeder Zeile stieg sein Blutdruck, bis sein Kopf rot angeschwollen war und die Schläfen pochten.
Kaltmann listete in seinem Fax Anschuldigungen gegen zwei von Schneiders Beamten Punkt für Punkt auf. Wachtmeister Heinzmann hatte massive Verfehlungen begangen. Und Kommissar Baumer war auch darin verwickelt. Am Schluss des Faxes machte der Medizinprofessor klar, dass er vom Chef der Kriminalpolizei verlange, dass ein derartiges Vorgehen sofort abgestellt und die Verantwortlichen für diese Sache zur Rechenschaft gezogen wurden.
Offensichtlich war Dr. Kaltmann egal, ob Schneider in Basel auch protegiert war. »Daig« hin oder her. Schneider war, im Gegensatz zu ihm, nur eingeheiratet und nur bei der Polizei. Aber dieses Krankenhaus gehörte ihm, ihm ganz allein. Hier herrschte er, und niemand durfte seine absolute Macht in Frage stellen.
Das Fax endete grußlos. Dann kam die Unterschrift. Sie war völlig unleserlich, hatte aber viele spitze Zacken.
Schneider riss das Papier aus der Maschine. Er las es noch einmal durch, wurde fuchsteufelswild. Er brüllte nach seiner Sekretärin.
Als diese verschreckt ins Zimmer trat, saß der Chef bereits wieder an seinem Schreibtisch und knirschte: »Diese Verbrecher. Diese Bande. Die mach ich fertig.«
Dann kratzte er mit seinem über viertausend Franken teuren, massivgoldenen Stift seine Befehle auf das Papier. Oben drüber schrieb er in fetten Lettern zwei Wörter.
Höchste Priorität!
10
Die Sonne hatte die Stadt erhitzt wie selten zuvor in der über zweitausend Jahre alten Geschichte dieser ehemaligen römischen Siedlung. Das Thermometer zeigte, jetzt um 14 Uhr, die Rekordmarke von 39,8 Grad für dieses Jahr. Alles lief bei dieser Tropenhitze deutlich langsamer ab in der Stadt am Rhein. Zwar war die Innenstadt geschäftig wie sonst auch. Die Einwohner mussten Einkäufe tätigen, wie alle Tage. Allerdings lähmte die glühende Hitze ihren Bewegungsdrang und ließ sie, benommen von der mörderischen Temperatur, in kühle Kaufhäuser oder unter die Sonnenschirme von Gartenkneipen flüchten. Dort genossen sie ein kühlendes Getränk oder zwei und fielen in ein wohliges Dösen.
Eistee.
Mineralwasser.
Espresso.
Eistee.
Das waren die Getränke, die sich vier Herren mittleren Alters einverleibten, die unter der ausgefahrenen großen Markise vor dem ilcaffè saßen.
Der erste Eistee war für Dr. med. Marco Regazzoni.
Das Mineralwasser, mit Kohlensäure, war für Rolf Danner.
Der Espresso war für Andreas Baumer, Kriminalkommissar aus Basel.
Der zweite Eistee war für Stefan Heinzmann, seit einer halben Stunde von Daniel Schneider mit sofortiger Wirkung suspendierter Wachtmeister und ehemaliger Nachtpatrouillenführer der Kantonspolizei Basel-Stadt. Bald würde er arbeitslos sein, ohne Pensionsanspruch. Dafür würde Schneider sorgen. Mit viel Glück könnte Stefan Heinzmann dann grad noch einen Job in einem privaten Verkehrsleitdienst finden. Dann würde er sich in leuchtend gelber Weste vor einer Baustelle die Beine in den Bauch stehen, ab und an mit einer Kelle winken und doch von allen Verkehrsteilnehmern ignoriert werden.
Die vier Kollegen waren gedrückter Stimmung. Sie saßen parallel nebeneinander mit Blick zur Straße auf den Klappstühlen des ilcaffès. Die Parade der verschwitzten oder halbnackten Menschen, die am ilcaffè vorbeigingen, interessierte sie nicht die Bohne. Sie waren matt, mehr noch, sie waren eigentlich erschöpft. Die Beine streckten sie aus. Ihre ganze Haltung war kraftlos.
Keiner der vier sprach ein Wort. Alle blickten sie mit halbgesenkten Lidern ins Unendliche. Baumer hatte die Augen sogar ganz geschlossen.
Ab und an fuhr ein Lieferwagen vorbei. In ihrem eigenen Takt kamen die Trams vorbei. Wiederholt rasselten Velos am ilcaffè vorüber, Passanten spazierten die Straße entlang, eine Frau schob einen Buggy mit quengeligem Kind. Die vier Freunde sprachen auf nichts an. Immer stärker zerflossen Regazzoni, Danner und Baumer in ihren Stühlen.
Nur Heinzmann setzte sich ein wenig aufrechter hin und rührte drei Würfelzucker in seinen Eistee. Er versuchte ein Lächeln, als er
Weitere Kostenlose Bücher