In der Hitze der Stadt
Teilhaben an dem aufgeklärten, dem liberalen, dem innovativen Basel wollten solche fundamentalistischen Muslime nicht. Alles, was sie vom Staat wollten, war, dass dieser ihre diskriminierende Intoleranz als Menschenrecht schütze – und Sozialhilfe natürlich. Das Schariarecht wollten sie auch. Mit immer größerer Vehemenz forderten sie Sonderrechte.
Sonderrechte.
Für Schneider tönte das immer wie »Sonderbehandlung«. Aber ihm war das letztlich ganz recht. Von ihm aus konnte diese bestimmte Gruppe der Muslime im Kleinbasel doch machen, was sie wollte, dort, tief in den Eingeweiden der Stadt. Auch ob ein Imam die »Ungläubigen« als Tiere, minderwertiger noch als Schweine, bezeichnet hatte, kümmerte ihn grundsätzlich nicht – es war ja nicht einmal verboten! Wie sich die durchschnittlichen Basler dabei fühlten, war Schneider sowieso komplett scheißegal. Solche Leute gehörten seit seiner Heirat nicht mehr zu seinen Freunden. Er hatte alles Kleine längst hinter sich gelassen, lebte jetzt auf der anderen Seite des Rheins im noblen St.-Alban-Quartier im großen Basel.
Allerdings beschlich Schneider auch immer öfter das leise Gefühl, dass die Zerfaserung der Gesellschaft auch seine Karriereplanung erschweren könnte. Die Versplitterung der politischen Gruppen brachte ständig wechselnde Mehrheiten mit sich. Wer weiß, womöglich könnten solche muslimischen Splittergruppen einmal das Zünglein an der Waage sein – vielleicht bald mehr als das. Auch wollte er möglichst rasch aus dieser Stadt raus, und der nächste logische Schritt nach Regierungsrat und Stadtpräsidium war, als Ständerat ins Bundeshaus nach Bern gewählt zu werden. Auch da bräuchte er Stimmen aus allen möglichen – und unmöglichen – politischen Lagern. Er müsste im Bereich Migration und Integration also einen ganz sensiblen Kurs fahren. Seine Gefühle durften dabei keine Rolle spielen, er musste hochpolitisch denken. Den radikalen Muslimen ein wenig an den Karren fahren, um rechts Wählerstimmen zu gewinnen. Das wäre locker möglich und brächte einige Stimmen. Die Frauenunterdrückung ein bisschen anprangern, das fing auch einige weibliche Stimmen aus dem linken Lager. Zugleich dürfte er dabei nicht übertreiben und auf gar keinen Fall den Anschein erwecken, dass er grundsätzlich etwas gegen Muslime und deren Wertekanon hatte. Also lieber nur schön quatschen, anstatt tatsächlich etwas gegen die Unterdrückung und Ungleichbehandlung der muslimischen Frauen zu tun. So war man auf der sicheren Seite. Ja und Amen sagen zu komplett absurden Forderungen der lautstarken Muslime in einer freiheitlichen Demokratie. Sollen sie doch ihre Sonderrechte haben. Was bedeutet denn schon Aufklärung?
Das dachte Schneider und zog instinktiv ein wenig den Kopf ein – wie ein richtiger Schweizer eben. Das war die optimale Haltung, um Karriere in der heutigen Eidgenossenschaft zu machen. Aufrecht gehen, scheinbar, aber immer bereit, den Kopf beim leisesten Gegenwind einzuziehen. Und ja den Kopf nicht zu weit herausstrecken und mutig in eine einzige Richtung halten. Lieber den Hals in alle Dimensionen beweglich halten.
Anpassen.
So würde er den Sprung in ein hohes politisches Amt schaffen.
Beglückt stellte sich Schneider vor einen Art déco-Spiegel aus bunten Glassplittern, den er in seinem Büro hängen hatte. »Du schaffst das«, sprach er sich Mut zu und war schließlich überzeugt, dass er gerade heute, mit der politisch korrekten Aufklärung des Mordes an einer Muslimin den Grundstein für seinen Erfolg als Bundespolitiker legen würde. Die muslimkompatible Lösung dieses Falles würde seinen Ruf als begnadeten Führer zementieren. Er wäre der Chef, der seinen Laden voll im Griff hat und ohne Vorverurteilungen der Muslime für Gerechtigkeit für alle sorgt.
Gerechtigkeit.
Schneider blickte sich im Spiegel an und sein Gesicht begann zu leuchten. »Gerechtigkeit«, murmelte er. Das war der perfekte Slogan für seine politische Kampagne. Schneider malte sich aus, wie sein Gesicht, von Photoshop noch verschönert, auf einem Wahlplakat wirken würde. Unter sein Portrait würde mit fetten Lettern dieser Wahlspruch gesetzt werden. Schneiders Augen funkelten und sein Herz begann voller Vorfreude zu pochen.
Ein Rattern kündete den Eingang eines Faxes an. Schneider stoppte seine Selbstbespiegelung, beugte sich zu dem Gerät.
Die Rollen im Faxgerät ruckten das Papier gleichmäßig vorwärts. Der Chefbeamte erkannte als Erstes den
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