In der Kälte der Nacht
wütend, und vor allem hatte er Angst, und beides zusammen wurde zu der für Salsbury typischen Überheblichkeit. »Wir sind hier nicht in einer stinkigen Kaserne, Klinger. Dies ist nicht Ihre Armee. Und ich bin kein Rekrut, den Sie herumkommandieren können.« Klinger wandte sich von ihm ab. Er trat ans Fenster. »Wir wären vielleicht alle besser dran, wenn Sie bei mir den nötigen Drill verpaßt bekommen hätten.« Salsbury stand da und starrte auf den breiten Rücken des Generals. Er spürte, daß er bei dem Wortwechsel den kürzeren gezogen hatte. Klinger war sich seiner Sache so sicher, daß er ihn nicht einmal eines Blickes würdigte. Sekunden vergingen. Salsbury versuchte es einen Ton braver. »Ich hätte noch so sorgfältig vorgehen können...«
»Schluß jetzt«, entschied Dawson. Er sprach leise, aber es lag so viel Entschlossenheit in seinen Worten, daß Salsbury sein Klagelied verebben ließ. Klinger wandte sich um. »Wir haben keine Zeit, um uns gegenseitig zu beschuldigen«, fuhr Dawson fort.»Wir müssen erst diese vier Personen finden.«
»Ins Tal können Sie nicht geflohen sein«, sagte Salsbury. »Das Ostende des Ortes ist hermetisch abgeriegelt.«
»Sie hatten auch den General Store hermetisch abgeriegelt, wie Sie es nennen«, sagte Klinger sarkastisch. »Aber sie sind Ihnen entkommen.«
»Du bist zu hart in deinem Urteil, Ernst«, sagte Dawson. Er lächelte wie ein Kirchenvater, der einen Streit zwischen den Presbytern schlichtet, aber in seinen schwarzen Augen lagen Haß und Verachtung. »Ich bin Ogdens Meinung, daß der Ort nach Osten hin sicher abgeriegelt ist. Wir werden allerdings die Mannschaften am Fluß und im Wald noch verdreifachen. Ogden hat völlig richtig gehandelt, als er das Gros der Männer zunächst zur Bewachung der Waldwege eingeteilt hat.«
»Es bleiben zwei Möglichkeiten«, sagte Klinger. Er hatte beschlossen, den Strategen herauszukehren. »Entweder die vier sind noch im Ort und verstecken sich in irgendeinem Haus. Dann werden sie versuchen, heute nacht auszubrechen. Sie werden entweder über den Fluß oder durch den Wald fliehen. Möglichkeit zwei: sie sind schon weg. Dann wählen Sie den Weg durchs Gebirge. Thorp sagt, Paul Annendale und seine Tochter haben Erfahrung in den Bergen.« Bob Thorp, der steif wie eine Ehrenwache an der Tür verharrte, nickte. »So ist es.«
»Ich sehe nicht, wie sie den Weg durch die Berge schaffen wollen«, sagte Salsbury. »Die haben ein elfjähriges Mädchen bei sich, sie können also nicht schnell marschieren. Sie brauchen Tage, bis sie zur nächsten bewohnten Ortschaft gelangen und Hilfe alarmieren können.«
»Das elfjährige Mädchen, von dem Sie sprechen, hat die letzten sieben Jahre in Black River ihre Sommerferien verbracht«, sagte Klinger. »Und zwar im Zelt. Die ist so fit, daß sie keine Belastung für die Gruppe bedeutet. Außerdem ist es egal, ob die Gruppe fremde Hilfe erst nach vier Tagen oder schon nach zwei Tagen alarmieren kann. Der Schaden, der für uns entsteht, ist der gleiche.«
Dawson schien nachzudenken. »Nehmen wir einmal an, sie wählen den Weg durch die Berge, dann hätten sie bis Bexford eine Strecke von hundert Kilometern zurückzulegen. Wie weit könnten sie schon gekommen sein?«
»Fünf Kilometer«, sagte Klinger. »Vielleicht sechs.«
»Weiter nicht?«
»Das bezweifle ich«, sagte Klinger. »Sie mußten den ersten Teil der Strecke sehr vorsichtig gehen, weil sie den aufgestellten Wachen ausweichen mußten. Und dann haben sie auch Zeit verloren, um die Richtung festzulegen. Das kleine Mädchen drückt auf das Tempo, auch wenn sie Wandererfahrung hat.«
»Sechs Kilometer«, sagte Dawson nachdenklich. »Das würde bedeuten, sie sind jetzt irgendwo zwischen den neuangepflanzten Schonungen und der Sägemühle.«
»Das könnte sein.« Dawson schloß die Augen. Was er murmelte, konnte keiner seiner beiden Gefährten verstehen. Plötzlich starrte er sie an, als hätte er eine Eingebung. »Wir werden als erstes eine Suchaktion in den Wäldern in die Wege leiten.«
»Das ist doch absurd«, sagte Salsbury. Ihm war bewußt, daß Dawson seinen Plan als den unerforschlichen Ratschluß Gottes ausgeben würde, aber das war ihm jetzt egal. »Eine Suchaktion in den Wäldern, das ist, als wollten wir eine Nadel im Heuhaufen suchen.« Dawsons Antwort kam eiskalt, und Salsbury mußte an den erkalteten Leichnam des Jungen denken, der im Nebenzimmer lag. »Im Holzfällercamp arbeiten zweihundert Mann, das ist unsere
Weitere Kostenlose Bücher