In der Nacht (German Edition)
Familie, damit sie ihn aus diesem Drecksloch von Gefängnis holen und wir endlich wieder zusammen sein können.«
War es tatsächlich nur Begierde, die ihn umtrieb, oder doch etwas, das er noch nicht in Worte fassen konnte? Vielleicht setzte ihm lediglich die Hitze zu, nicht zu vergessen, dass er zwei Jahre im Knast gewesen war. Möglich, wahrscheinlich sogar. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass ihn etwas in ihrem tiefsten Inneren anzog, ein Riss in ihr, ein Gemenge aus Angst, Zorn und Hoffnung, das wiederum etwas im tiefsten Kern seines Wesens zum Schwingen brachte.
»Er kann sich glücklich schätzen, dass er Sie hat«, sagte Joe.
Sie öffnete den Mund, doch dann merkte sie, dass diesmal kein Konter nötig war.
»Sehr glücklich sogar.« Joe stand auf und legte ein paar Münzen auf den Tisch. »Bringen wir den Anruf hinter uns.«
Sie riefen von einer pleitegegangenen Zigarrenfabrik im Ostteil von Ybor aus an. Auf dem staubigen Boden eines leeren Büros hockend, wählte Joe, während Graciela einen letzten Blick auf die mit Maschine geschriebene Botschaft warf, die er in der vergangenen Nacht zu Papier gebracht hatte.
»Lokalredaktion«, meldete sich jemand am anderen Ende, und Joe reichte Graciela den Hörer.
Graciela sagte: »Nieder mit dem amerikanischen Imperialismus! Wir übernehmen die Verantwortung für den Bombenanschlag von letzter Nacht. Sie haben mitbekommen, was mit der USS Mercy passiert ist?«
Joe konnte die Stimme des Mannes hören. »Ja, habe ich.«
»Wir, die Volksbefreier Andalusiens, übernehmen hiermit die volle Verantwortung für den Anschlag. Unsere nächste Aktion wird sich direkt gegen die Matrosen der amerikanischen Marine richten, und wir werden nicht eher ruhen, bis Kuba wieder seinen rechtmäßigen Besitzern gehört – dem spanischen Volk! Viva España! Auf Wiederhören!«
»Moment, warten Sie. Die Matrosen… Was haben Sie –«
»Wenn ich auflege, sind sie bereits tot.«
Sie unterbrach die Verbindung und sah Joe an.
»Das sollte reichen«, sagte er.
Zurück an der Pier, beobachtete Joe, wie die Matrosen eine Kolonne von Militärlastern bestiegen. In Gruppen zu fünfzig Mann verließen sie zügig das Schiff, während sie den Blick über die Häuserdächer schweifen ließen.
Die Lastwagen holperten von der Pier und verteilten sich anschließend – der erste Laster fuhr Richtung Osten, der zweite nach Südwesten, der dritte nach Norden, und so ging es im Eiltempo weiter.
»Irgendeine Spur von Manny?«, fragte Joe.
Dion nickte mit düsterer Miene, und Joes Blick folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger, der auf einen Punkt jenseits der übereinandergestapelten Waffenkisten deutete. Dort, am Rand der Pier, lag ein Leichensack, der an Füßen, Brust und Hals mit Stricken zugeschnürt war. Eine Weile später wurde der Leichnam in einen weißen Transporter geladen, der kurz darauf, eskortiert von einem Wagen der Hafenpatrouille, die Pier wieder verließ.
Dann erwachte der Motor des letzten verbliebenen Militärlasters zum Leben. Das Quietschen der Bremsen vermischte sich mit dem Kreischen der Möwen, als der Fahrer wendete, kurz anhielt und dann zu den Kisten zurücksetzte. Ein Matrose sprang aus dem Führerhaus und öffnete die Ladeklappe. Die letzten verbliebenen Matrosen, allesamt bewaffnet mit leichten Browning-Maschinengewehren und Faustfeuerwaffen, verließen die USS Mercy . Ein Oberbootsmann sah ihnen entgegen, während sie die Planke hinuntermarschierten.
Sal Urso, der in Maso Pescatores Sportwettzentrale in South Tampa arbeitete, tauchte plötzlich neben Dion auf und drückte ihm ein paar Schlüssel in die Hand.
Dion stellte ihn Joe vor, und sie schüttelten sich die Hand.
»Der Laster steht ungefähr zwanzig Meter hinter uns. Die Karre ist vollgetankt, Uniformen liegen auf dem Sitz.« Er musterte Dion von oben bis unten. »Gar nicht so einfach, die passende Größe für dich zu finden.«
Dion tat so, als würde er sich selbst eine kleben. »Und wie sieht’s auf den Straßen aus?«
»Das Gesetz ist überall. Aber die haben es bloß auf Spanier abgesehen.«
»Nicht auf Kubaner?«
Sal schüttelte den Kopf. »Ihr habt hier ganz schön Chaos angerichtet, Jungs.«
Der letzte Matrose hatte das Schiff verlassen. Der Oberbootsmann deutete auf die Kisten und erteilte Befehle.
»Wir müssen los«, sagte Joe. »Sehr erfreut, Sal.«
»Ebenfalls, Sir. Wir sehen uns.«
Sie ließen die Menge hinter sich und marschierten zu dem Laster, den Sal für sie
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