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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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paar stiegen ein, und schon rumpelte sie quietschend weiter.
    »Gibt es irgendeine Spur von ihm?«, fragte Graciela.
    Joe schüttelte den Kopf. »Aber Dion bleibt dran. Außerdem hat er ein paar von seinen Jungs abgestellt…« Er zuckte mit den Schultern und nippte an seinem kubanischen Kaffee. Er hatte seit achtundvierzig Stunden kaum ein Auge zugetan, doch solange ihm jemand kubanischen Kaffee nachschenkte, würde er vermutlich eine ganze Woche ohne Schlaf auskommen.
    »Was tun die in das Zeug? Kokain?«
    »Es ist bloß Kaffee«, sagte Graciela.
    »Genauso gut könnte man sagen, Wodka wäre bloß Kartoffelsaft.« Er leerte seine Tasse und stellte sie zurück. »Fehlt Ihnen Ihr Land?«
    »Kuba?«
    »Ja.«
    Sie nickte. »Sehr sogar.«
    »Warum sind Sie dann hier?«
    Sie blickte hinaus auf die Straße, als könne sie jenseits des Asphalts Havanna sehen. »Sie vertragen die Hitze nicht.«
    »Was?«
    »Na, schauen Sie sich doch mal an«, sagte sie. »Dauernd fächeln Sie sich Luft zu, und alle naselang sehen Sie gen Himmel, als wollten Sie der Sonne sagen, sie solle gefälligst schneller untergehen.«
    »Ist das so offensichtlich?«
    »Jetzt machen Sie es schon wieder.«
    Sie hatte recht. Diesmal hatte er sich mit dem Hut Luft zugewedelt. »Manche Leute kommen sich hier wahrscheinlich vor, als würden sie auf der Sonne leben, aber in der Sonne trifft es meiner Meinung nach entschieden besser. Wie haltet ihr das bloß aus?«
    Er starrte auf die dunkle Haut ihres entzückenden Halses, als sie den Kopf zurückbog und gegen den Stuhl lehnte. »Für mich kann es gar nicht heiß genug sein.«
    »Dann stimmt irgendwas nicht mit Ihnen.«
    Sie lachte, und er konnte den Blick noch immer nicht von ihrer Kehle wenden. Sie schloss die Augen. »Aber trotz der Hitze bleiben Sie hier.«
    »Ja.«
    Sie öffnete die Augen wieder, legte den Kopf leicht schief und sah ihn an. »Warum?«
    Er vermutete – ach was, er wusste es –, dass er Emma geliebt hatte. Ja, es war Liebe gewesen. Bei dem Gefühl, das Graciela Corrales in ihm hervorrief, musste es sich also um Lust handeln. Und doch war es eine Begierde, wie er sie noch nie verspürt hatte. Ihre dunklen Augen machten ihn schier verrückt. All ihren Bewegungen – ob sie nun einen Fuß vor den anderen setzte, ihre Zigarren rauchte oder lediglich einen Bleistift zur Hand nahm – wohnte eine derart träge Lässigkeit inne, dass er sich unschwer vorstellen konnte, wie sie mit derselben Lässigkeit über ihn glitt und ihn in sich aufnahm, während sie einen tiefen Seufzer in sein Ohr hauchte. Es war eine Trägheit, die nichts mit Müßiggang gemein hatte, sondern ganz und gar zielgerichtet wirkte – sie dehnte die Zeit, machte sie sich gleichsam untertan.
    Kein Wunder, dass die Nonnen immer so heftig gegen die vermeintlichen Sünden der Fleischeslust gewettert hatten. Sie waren gefährlicher als Krebs und konnten einen zweimal so schnell unter die Erde bringen.
    »Warum?«, wiederholte er, einen Moment lang selbst nicht sicher, ob er in der Zwischenzeit womöglich etwas nicht mitbekommen hatte.
    Sie musterte ihn neugierig. »Ja, warum?«
    »Ich habe hier einen Job zu erledigen.«
    »Ich bin aus dem gleichen Grund hierher gekommen.«
    »Um Zigarren zu rollen?«
    Sie setzte sich auf und nickte. »Die Löhne sind hier viel besser als in Havanna. Das meiste Geld schicke ich nach Hause. Und sobald mein Mann entlassen wird, überlegen wir uns, wo wir leben wollen.«
    »Oh«, sagte Joe. »Sie sind verheiratet.«
    »Ja.«
    Hatte er da gerade ein triumphierendes Glitzern in ihrem Blick wahrgenommen? Oder es sich nur eingebildet?
    »Und Ihr Mann sitzt im Gefängnis?«
    Noch ein Nicken. »Aber glauben Sie bloß nicht, er wäre so einer wie Sie.«
    »Was bin ich denn für einer?«
    »Ein mieser kleiner Krimineller.«
    »Ah ja. Schön, dass wir das klären konnten.«
    »Adan kämpft für unser großes Ziel.«
    »Und wie viele Jahre kriegt man dafür aufgebrummt?«
    Ihre Miene verdüsterte sich; urplötzlich war die lockere Atmosphäre wie verflogen. »Sie haben ihn gefoltert, um die Namen seiner Komplizen herauszukriegen – das waren Esteban und ich. Aber er hat dichtgehalten, egal, wie sehr sie ihn misshandelt haben.« Sie hatte das Kinn vorgeschoben, und das Flackern in ihrem Blick erinnerte Joe an die dünnen Blitze, die er in der Nacht am Horizont gesehen hatte. »Das Geld, das ich hier verdiene, schicke ich nicht an meine eigenen Verwandten. Ich habe keine Familie mehr. Ich unterstütze Adans

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