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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Fresse!«
    »Was? Ist es so schlimm?«
    Dion streifte seine Jacke ab und zog sein eigenes Hemd aus. Er knüllte es zusammen und presste es auf die Wunde. »Halt das fest.«
    »So schlimm?«, wiederholte Joe.
    »Toll sieht’s nicht aus«, sagte Dion. »Wie fühlst du dich?«
    »Meine Füße sind eiskalt. Meine Eingeweide brennen wie die Hölle. Am liebsten würde ich laut losschreien.«
    »Dann mach’s doch«, sagte Dion. »Es hört ja niemand.«
    Und genau das tat Joe auch. Es schockierte ihn selbst, mit welcher Urgewalt der Schrei aus seiner Kehle hervorbrach und von den Wänden widerhallte.
    »Besser?«
    »Willst du die Wahrheit hören?«, sagte Joe. »Nein.«
    »Dann lass es lieber bleiben. Der Doc ist garantiert schon unterwegs.«
    »Seid ihr mit ihm hierhergekommen?«
    Dion nickte. »Er ist auf dem Boot. Sal hat ein Signal mit ihm vereinbart. Kann sich nur um ein paar Minuten handeln.«
    »Gut.«
    »Warum hast du nicht irgendwie Laut gegeben, als er dir das Messer in den Bauch gerammt hat? Von da oben konnten wir doch nichts sehen. Wir haben bloß auf grünes Licht gewartet.«
    »Keine Ahnung«, erwiderte Joe. »Ich wollte ihm einfach nicht die Genugtuung geben. Oh, Mann, tut das weh.«
    Dion ergriff seine Hand.
    »Wieso hast du ihn überhaupt so nah an dich herangelassen?«
    »Was?«
    »Warum hast du das riskiert? Du solltest ihn abstechen, und nicht umgekehrt.«
    »Ich hätte ihm die Bilder nicht zeigen sollen, D.«
    »Wie? Was hast du RD gezeigt?«
    »Nein, nein. Ich meinte Figgis. Das mit den Fotos war ein Fehler.«
    »Teufel auch. Es gab keine andere Möglichkeit, den Dreckskerl loszuwerden.«
    »Trotzdem. Der Preis war zu hoch.«
    »Vergiss es. Billiger ist so was eben nicht zu haben.«
    »Okay.«
    »Hey! Keine Müdigkeit vorschützen!«
    »Hör auf, mir Ohrfeigen zu verpassen.«
    »Dann lass die Augen offen.«
    »Das wird ein Spitzenkasino, Mann.«
    »Was?«
    »Vertrau mir«, sagte Joe.

20
    Mi Gran Amor
    Fünf Wochen.
    So lange lag Joe im Krankenhaus. Erst in der Gonzalez-Klinik in der Fourteenth Street, nur einen Häuserblock vom Circulo Cubano entfernt, und dann unter dem Decknamen Rodriguo Martinez im Centro Asturiano Hospital im Osten Ybors. Und obwohl die Kubaner gegen die Spanier gekämpft, die Südspanier den Nordspaniern die Hölle heiß gemacht und sie allesamt etwas gegen Italiener und schwarze Amerikaner hatten, zogen sie am selben Strang, wenn es um ärztliche Hilfe und medizinische Versorgung ging. Jedem hier war klar, dass drüben im weißen Tampa niemand auch nur einen Finger für sie krumm gemacht hätte; selbst mit einer schweren Schusswunde wären sie nicht behandelt worden, wenn in der Notaufnahme gerade ein Weißer mit verstauchtem großen Zeh gesessen hätte.
    Das Ärzteteam, das Graciela und Esteban zusammengetrommelt hatten, bestand aus einem kubanischen Chirurgen, der die erste Baucheröffnung durchführte, einem spanischen Thorax-Spezialisten, der während des zweiten, dritten und vierten Eingriffs ein Auge auf die Bauchwandrekonstruktion hatte, und einem führenden amerikanischen Pharmakologen, der Zugang zu Tetanus-Impfstoff hatte und für Joes Versorgung mit Morphin verantwortlich war.
    Alle vorbereitenden Maßnahmen – Abführen, Reinigung und Voruntersuchung – sowie die erste Operation wurden in der Gonzalez-Klinik vorgenommen. Doch dann sprach sich herum, dass Joe dort untergebracht worden war. In der zweiten Nacht tauchten Mitternachtsreiter des Ku-Klux-Klans auf; der ölige Gestank ihrer Fackeln stieg durch die Fenstergitter, während sie mit ihren Pferden die Ninth Avenue auf und ab galoppierten. Joe bekam nichts davon mit – an die ersten zwei Wochen im Krankenhaus konnte er sich später nur mehr schemenhaft erinnern –, doch Graciela erzählte ihm später, was in jener Zeit geschehen war.
    Als sich die Reiter davonmachten und mit donnernden Hufen die Straßen entlangpreschten, schickte ihnen Dion seine Leute hinterher – zwei Mann pro Pferd. Kurz vor Morgengrauen drangen Unbekannte in die Häuser von acht Bürgern im Großraum Tampa/St.   Petersburg ein und schlugen die Männer halb tot, einige vor den Augen ihrer entsetzten Familien. Als eine Frau in Temple Terrace ihrem Mann zu Hilfe kommen wollte, wurden ihr beide Arme mit einem Baseballschläger gebrochen. Als der Sohn eines Mannes in Egypt Lake einzuschreiten versuchte, fesselten sie ihn an einen Baum und überließen ihn den Ameisen und Moskitos. Das prominenteste Opfer war der Zahnarzt Victor Toll,

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