In der Nacht (German Edition)
vertraut war. Dann hatte er den Ballsaal gefunden. Er befand sich in der Mitte der ersten Etage, gekrönt von einer Rotunde mit Aussichtsgalerie – wie gemacht dafür, in warmen Frühlingsnächten dort oben entlangzuschlendern und anderen stinkreichen Leuten beim Tanzen unter der mit Sternen bemalten Kuppel zuzusehen.
Es war, als könne er in die Zukunft blicken. Angelockt von Prunk und Eleganz, würden die Reichen in Scharen hierherströmen, um ihr Glück zu riskieren, den Kitzel eines Spiels zu genießen, das ebenso abgefeimt war wie jenes, das sie seit Jahrhunderten mit den Armen trieben.
Und er würde ihnen den roten Teppich ausrollen. Ihnen nach allen Regeln der Kunst den Aufenthalt versüßen. Und ihnen das Geld aus der Tasche ziehen.
Niemand – kein Rockefeller und kein du Pont, weder ein Carnegie noch ein J.P. Morgan – konnte gegen die Bank gewinnen. Es sei denn, ihm hätte die Bank gehört. Und in diesem Kasino war er die Bank.
Er schüttelte die Taschenlampe ein paarmal und knipste sie wieder an.
Ein wenig überraschte es ihn schon, dass sie bereits auf ihn warteten – RD Pruitt und zwei andere Männer. RD trug einen steifen braunen Anzug und eine schwarze Fliege. Die Hosenaufschläge endeten knapp oberhalb seiner schwarzen Schuhe, so dass man die weißen Socken sehen konnte. Er befand sich in Begleitung zweier anderer Kerle – allem Anschein nach Fuselbrenner, die unverkennbar nach Mais, Maische und Methanol stanken und keine Anzüge, sondern Hemden mit schmalem Kragen, kurze Krawatten und Wollhosen trugen.
Joe gab sich alle Mühe, nicht zu blinzeln, als sie ihre Taschenlampen auf ihn richteten.
»Da sind Sie ja«, sagte RD .
»So ist es«, sagte Joe.
»Wo ist mein Schwager?«
»Nicht mitgekommen.«
»Auch gut.« RD deutete auf den Burschen zu seiner Rechten. »Das ist Carver Pruitt, mein Cousin.« Er zeigte nach links. »Und das ist sein Cousin mütterlicherseits, Harold LaBute.« Er wandte sich zu den beiden. »Jungs, das ist der Kerl, der Kelvin auf dem Gewissen hat. Also seid bloß vorsichtig, sonst legt er euch womöglich auch um.«
Carver Pruitt hob seine Flinte an die Schulter. »Wohl kaum.«
»Lass dich bloß nicht täuschen.« RD zeigte auf Joe. »Die Ratte ist mit allen Wassern gewaschen. Sobald du ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen lässt, bist du deine Knarre los, das garantiere ich dir.«
»Quatsch mit Soße«, sagte Joe.
»Stehen Sie zu Ihrem Wort?«, fragte RD .
»Kommt drauf an, wem ich’s gegeben habe.«
»Also sind Sie nicht allein gekommen?«
»Nein«, sagte Joe.
»Ach ja? Und wo stecken Ihre Leute?«
»Nicht so neugierig, RD . Dann geht doch die ganze Spannung flöten.«
»Wir haben Sie beobachtet«, sagte RD . »Wir sind nämlich schon seit drei Stunden hier. Und deshalb wissen wir, dass Sie allein sind.« Er lachte leise. »Na, wie finden Sie das?«
»Glauben Sie mir«, sagte Joe. »Ich bin nicht allein.«
RD ging in die Mitte des Saals voraus, und Joe folgte ihm, die beiden Kerle mit den Gewehren im Rücken.
Das Springmesser, das Joe dabeihatte, war einsatzbereit. Der Griff steckte lose unter dem Lederband der Armbanduhr, die Joe extra zu diesem Zweck trug. Eine kurze Bewegung, und das Messer würde buchstäblich im Handumdrehen in seinen Fingern landen.
»Ich will keine sechzig Prozent.«
»Das hatte ich mir schon gedacht«, sagte Joe.
»So? Was will ich denn sonst?«
»Ich weiß es nicht genau«, sagte Joe. »Aber ich vermute, Sie hätten gern, dass wieder alles so wie früher ist? Na, wird’s schon warm?«
»Wie auf dem Grill.«
»Aber die guten alten Zeiten hat es nie gegeben«, sagte Joe. »Und genau darin besteht Ihr Problem, RD . Im Knast habe ich zwei Jahre lang nichts weiter getan, als zu lesen. Und wissen Sie, was ich dabei herausgefunden habe?«
»Keine Ahnung. Aber Sie sagen’s mir bestimmt gleich, nicht wahr?«
»Tja, ich habe dabei herausgefunden, dass immer schon die gleiche Scheiße gelaufen ist – nichts als Gemetzel, Vergewaltigung, Zerstörung, Vernichtung. So ist der Mensch, RD . Früher war gar nichts besser. Die guten alten Zeiten existieren bloß in Ihrem Kopf.«
»Hmm-mm.«
»Haben Sie eine Vorstellung, was wir aus diesem Laden hier machen könnten?«, fragte Joe. »Was hier entstehen könnte?«
»Keine Ahnung.«
»Das größte Kasino Amerikas.«
»Bloß dass Glücksspiele illegal sind, und daran wird sich auch nichts ändern.«
»Da muss ich Ihnen leider widersprechen, RD . Das ganze Land geht den Bach
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