In der Nacht (German Edition)
froh, dass die Sonne unterging und die Galerie jetzt ganz im Schatten lag, da Dion sonst an seinem Blick erkannt hätte, wie unsicher er sich seiner Entscheidung war, wie kurz er davor stand, seine Bedenken in den Wind zu schießen und die Sache endgültig zu besiegeln. Herrgott noch mal, ein einziger Mensch, eine verdammte blöde Kuh. »Schlag es dir aus dem Kopf. Ihr wird kein Haar gekrümmt.«
»Das wirst du bereuen«, sagte Dion.
»Keine weitere Diskussion«, sagte Joe.
Als John Ringlings Bevollmächtigte eine Woche später einen weiteren Termin anberaumen wollten, wusste Joe, dass die Sache gelaufen war; wenn auch vielleicht nicht ein für alle Mal, war das Projekt erst einmal vom Tisch. Und während sich das ganze Land auf die neue, feuchtfröhliche Zeit einstimmte, mit Wonne die Korken knallen ließ, lief in Tampa, den Umtrieben einer Loretta Figgis wegen, alles in die entgegengesetzte Richtung. Und wenn sie sich schon nicht einmal in Sachen Alkohol gegen sie behaupten konnten, jetzt, da das Ende der Prohibition nur noch eine Unterschrift weit entfernt lag, sah es beim Thema »Glücksspiel« noch viel ärger aus. John Ringlings Berater teilten Joe und Esteban mit, dass ihr Boss beschlossen hatte, mit dem Verkauf des Ritz nun doch abzuwarten, bis die Konjunkturschwäche überwunden war, und seine Optionen zu gegebener Zeit zu überdenken.
Das Meeting fand in Saratoga statt. Anschließend fuhren Joe und Esteban nach Longboat Key und ließen den Blick über den in der Sonne schimmernden Palast am Golf von Mexiko schweifen, der um ein Haar ihnen gehört hätte.
»Tja, das wär’s gewesen«, sagte Joe. »Ein Kasino, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.«
»Komm, das werden wir schon noch schaukeln. Es gibt immer eine zweite Chance.«
Joe schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht«, sagte er.
22
Gespenster
Im Frühjahr 1933 sahen sich Loretta Figgis und Joe zum letzten Mal. Seit einer Woche hatte es in Strömen geregnet. An jenem Morgen – dem ersten wolkenlosen Tag seit langem – stieg so dichter Nebel von den Straßen in Ybor auf, dass die Welt kopfzustehen schien. In Gedanken versunken, ging Joe die Palm Avenue entlang; Sal Urso folgte ihm auf der anderen Straßenseite, und Lefty Downer hielt sich auf der Fahrbahn im Schritttempo hinter ihnen. Joe hatte soeben erfahren, dass Maso ihnen zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres einen Besuch abstatten wollte, und der Umstand, dass er ihn nicht persönlich davon unterrichtet hatte, machte ihn stutzig. Obendrein berichteten die Morgenzeitungen, dass der designierte Präsident Roosevelt den Cullen-Harrison Act unterzeichnen würde, sobald ihm jemand einen Federhalter in die Hand drückte, womit die Prohibition faktisch beendet war. Joe hatte gewusst, dass sie nicht von Dauer sein würde, doch trotzdem hatte ihn die Neuigkeit irgendwie unvorbereitet getroffen. Und da sie selbst für ihn aus heiterem Himmel kam, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie den Jungs in Schwarzbrenner-Hochburgen wie Kansas City, Cincinnati, Chicago, New York und Detroit für ein paar längere Momente die Spucke wegbleiben würde. Beim Lesen des Artikels morgens im Bett hatte er herauszufinden versucht, ob feststand, wann genau Roosevelt seine heißersehnte Signatur unter das Dokument zu setzen gedachte, war aber von Graciela abgelenkt worden, die sich unüberhörbar die Paella vom Vorabend aus dem Leib kotzte. Eigentlich hatte sie einen robusten Magen, doch neuerdings machte der geballte Stress – inzwischen kümmerte sie sich um drei Frauenhäuser und acht Vereine, die für die Beschaffung von Spenden zuständig waren – ihrem Verdauungssystem immer öfter zu schaffen.
»Joseph.« Sie stand in der Tür und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich muss dir was sagen.«
»Was gibt’s denn, Schatz?«
»Ich glaube, ich kriege ein Kind.«
Einen Moment lang war Joe so verwirrt, dass er dachte, sie hätte ein Straßenkind zu ihnen ins Haus geschmuggelt. Tatsächlich warf er sogar einen Blick hinter sie, ehe es ihm wie Schuppen von den Augen fiel.
»Du bist…«
Sie lächelte. »Schwanger.«
Er sprang aus dem Bett, doch als er vor ihr stand, kam sie ihm plötzlich so zerbrechlich vor, dass er sie nicht zu berühren wagte.
Sie schlang die Arme um seinen Nacken. »Alles okay. Du wirst Vater.« Sie küsste ihn, strich ihm über den kribbelnden Hinterkopf. Und plötzlich kribbelte es ihn am ganzen Körper, als sei er in einer neuen Haut erwacht.
Sie musterte ihn
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