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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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mir endlich meine Gewissheit wiedergegeben hatte. Gewissheit, Mr.   Coughlin. Gewissheit. Das ist die großartigste Lüge von allen.«
    Carmen schenkte ihnen Kaffee nach, und sie saßen sich eine Weile schweigend gegenüber.
    »Meine Mutter ist letzte Woche von uns gegangen. Wussten Sie das schon?«
    »Nein, Loretta. Das tut mir leid.«
    Sie winkte ab und nippte an ihrem Kaffee. »Der Glaube meines Vaters hat sie aus dem Haus getrieben. Sie hat immer wieder zu ihm gesagt: ›Du liebst Gott gar nicht. Du bist bloß verliebt in die Vorstellung, sein Auserwählter zu sein. Du gefällst dir in dem Glauben, dass er die Hand über dich hält.‹ Als ich von ihrem Tod erfahren habe, ist mir plötzlich klargeworden, was sie damit meinte. Ich konnte nämlich keinen Trost in Gott finden. Ich kenne Gott überhaupt nicht. Ich wollte einfach nur meine Mom zurück.«
    Die Glocke über der Tür ertönte, und Carmen trat hinter dem Tresen hervor, während ein Paar von der Straße hereinkam.
    »Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt.« Loretta befingerte den Henkel ihrer Kaffeetasse. »Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Und ich hoffe, er ist ein gütiger Gott. Wäre das nicht schön, Mr.   Coughlin?«
    »Aber ja«, sagte Joe.
    »Ich glaube nicht, dass er jemanden in ewige Verdammnis stürzt, nur weil er Unzucht getrieben hat. Oder weil jemand sich ein falsches Bild von ihm macht. Ich glaube – oder will vielmehr glauben –, dass für ihn die schlimmsten Sünden diejenigen sind, die wir in seinem Namen begehen.«
    Er musterte sie eingehend. »Oder diejenigen, die wir aus Verzweiflung gegen uns selbst begehen.«
    »Aber ich bin nicht verzweifelt«, sagte sie. »Sie etwa?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nicht im Geringsten.«
    »Was ist Ihr Geheimnis?«
    Er lachte trocken. »Das ist aber eine ziemlich persönliche Frage.«
    »Ich muss es wissen. Sie wirken so…« Sie ließ den Blick durch das Café schweifen, und einen Moment lang blitzte ein ungestümes Flackern in ihren Augen auf. »So… eins mit sich selbst.«
    Lächelnd schüttelte er den Kopf.
    »Doch, doch«, sagte sie.
    »Ach was.«
    »Doch, wirklich. Was ist Ihr Geheimnis?«
    Wortlos ließ er den Finger über den Rand seiner Untertasse gleiten.
    »Kommen Sie, Mr.   Cough–«
    »Sie.«
    »Pardon?«
    »Sie«, sagte Joe. »Graciela. Meine Frau.« Er sah sie an. »Auch ich hoffe, dass es einen Gott gibt. Sehr sogar. Aber wenn nicht, ist mir Graciela genug.«
    »Und wenn Sie sie verlieren?«
    »Ich habe nicht die Absicht, sie zu verlieren.«
    Sie beugte sich über den Tisch. »Und wenn doch?«
    »Dann wäre es um meine Seele geschehen.«
    Erneut schwiegen sie. Carmen kam an ihren Tisch und schenkte ihnen ein weiteres Mal nach. Joe gab noch ein wenig Zucker in seine Tasse. Während er Loretta ansah, überkam ihn plötzlich ein starkes unerklärliches Bedürfnis, sie ihn die Arme zu nehmen und ihr zu sagen, dass alles wieder gut werden würde.
    »Und was haben Sie jetzt vor?«, fragte er.
    »Was meinen Sie?«
    »Sie haben großen Einfluss in dieser Stadt. Verdammt, Sie haben mir auf dem Höhepunkt meiner Macht die Stirn geboten und gewonnen. Nicht mal der Klan hat das geschafft. Ebenso wenig wie die Polizei. Aber Ihnen ist es gelungen.«
    »Das Alkoholproblem habe ich trotzdem nicht gelöst.«
    »Aber in Sachen Glücksspiel haben Sie mich ausgebootet. Dabei lief alles wie am Schnürchen.«
    Sie lächelte, legte dann aber die Hände vor den Mund. »Da habe ich Ihnen das Leben wohl ganz schön schwergemacht, was?«
    Joe lächelte ebenfalls. »Und wie. Sie haben Tausende von Anhängern, die Ihnen überallhin folgen würden, Loretta.«
    Sie gab ein ersticktes Lachen von sich und warf einen Blick an die Decke. »Darum geht es mir nicht. Ich brauche niemanden, der mir folgt.«
    »Warum sagen Sie das Ihren Anhängern dann nicht?«
    »Weil er nichts davon hören will.«
    »Irv?«
    Sie nickte.
    »Geben Sie ihm Zeit.«
    »Er hat meine Mutter über alles geliebt. Ich kann mich erinnern, dass er manchmal buchstäblich gebebt hat, wenn er sich in ihrer Nähe befand. Weil er sie so sehr begehrte, sich derart danach sehnte, sie zu berühren. Aber es ging eben nicht, weil wir Kinder dabei waren und es unschicklich gewesen wäre. Nun ist sie tot, und er war nicht mal bei ihrer Beerdigung. Weil der Gott, den er sich vorstellt, sein Begehren missbilligt hätte. Sein Gott kennt keine Freuden. Jeden Abend sitzt er in seinem Sessel, liest in der Bibel, beseelt von nichts als grenzenlosem Hass –

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