In der Nacht (German Edition)
waren echte Prachtkerle, die sich durch ihr sanftes Gemüt und ihre samtweichen Ohren auszeichneten.
Trotzdem fragte sich Joe erneut, ob Dion womöglich doch den richtigen Riecher gehabt hatte. Sowohl die Valocco-Brüder als auch Ilario Nobile galten als exzellente Scharfschützen. Sie waren keine Schläger, gehörten aber auch nicht zu den Planern des Syndikats. Sie waren Killer.
In der zehnten Etage wurden sie lediglich von Fausto Scarpone in Empfang genommen, einem weiteren Kunstschützen ersten Ranges. Aber da außer ihm niemand auf dem Flur zu sehen war, blieben die Kräfteverhältnisse vorerst ausgeglichen, standen zwei von Masos Männern zwei von Joes Leuten gegenüber.
Maso selbst öffnete die Türen der Gasparilla Suite, der schönsten Zimmerflucht, die das Romero Hotel zu bieten hatte. Er umarmte Joe, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf die Stirn, ehe er ihn abermals in die Arme schloss und ihm herzlich die Schulter klopfte.
»Na, wie geht’s dir, mein Sohn?«
»Alles bestens, Mr. Pescatore. Danke der Nachfrage.«
»Fausto, kümmere du dich so lange um seine Jungs.«
»Soll ich ihnen die Schießeisen abnehmen, Mr. Pescatore?«
»Selbstverständlich nicht. Machen Sie es sich bequem, Gentlemen, wir brauchen sicher nicht lange.« Maso deutete auf Fausto. »Falls jemand ein Sandwich oder sonst etwas möchte, gib dem Zimmerservice Bescheid. Was immer ihr Herz begehrt.«
Er führte Joe in die Suite und schloss die Türen hinter ihnen. Die Fenster auf der einen Seite des Raums gingen auf eine Gasse und das Ziegelgebäude nebenan hinaus, einen ehemaligen Klavierbaubetrieb, der 1929 pleitegegangen war. Nichts war geblieben außer dem Namen des früheren Besitzers, Horace Porter, der in riesigen, langsam verblassenden Lettern an der Wand stand. Die Aussicht auf der anderen Seite hingegen ließ nichts von einer Depression ahnen; unter ihnen breiteten sich Ybor und die Kanäle aus, die in die Hillsborough Bay mündeten.
In der Mitte des Wohnbereichs befanden sich ein Couchtisch und vier Sessel. Auf dem Tisch standen eine Kaffeekanne und -tassen, ein Milchkännchen und eine Zuckerdose, allesamt aus Sterlingsilber, sowie eine Flasche Anisette und drei bereits gefüllte Likörgläser. Masos mittlerer Sohn Santo saß bereits dort und sah zu Joe auf; neben seiner Tasse lag eine Orange.
Santo Pescatore war einunddreißig und wurde von allen ›Digger‹ genannt, auch wenn sich niemand erinnern konnte, wie er zu diesem Spitznamen gekommen war, nicht einmal Santo selbst.
»Du erinnerst dich an Joe, Santo.«
»Ich weiß nicht. Vielleicht.« Er erhob sich halb aus seinem Sessel und reichte Joe die schlaffe, feuchte Rechte. »Du kannst mich Digger nennen.«
»Schön, euch zu sehen.« Joe setzte sich Digger gegenüber, während Maso neben seinem Sohn Platz nahm.
Digger schälte die Orange und warf die Schalenstücke achtlos auf den Tisch. In seinem langen Gesicht lag ein ständiger Ausdruck von Verwirrung und Missmut, als hätte er gerade einen Witz gehört, den er nicht verstanden hatte. Sein dunkles, lockiges Haar wurde bereits schütter; er hatte ein feistes Kinn, einen feisten Hals und die Augen seines Vaters, klein und dunkel wie frisch angespitzte Bleistifte. Dennoch war sein Blick dumpf. Er besaß weder den Charme noch die Gerissenheit seines Vaters, schlicht deshalb, weil er nie darauf angewiesen gewesen war.
Maso schenkte Joe eine Tasse Kaffee ein und reichte sie ihm über den Tisch. »Und wie läuft’s so?«
»Ausgezeichnet. Und bei Ihnen, Mr. Pescatore?«
Maso bewegte eine Hand hin und her. »Mal so, mal so.« Er hob sein Likörglas. »Salute.«
Joe prostete ihm zu. »Salute.«
Sie tranken, während Digger sich ein Stück Orange zwischen die Zähne schob und es mit offenem Mund kaute.
Nicht zum ersten Mal kam Joe in den Sinn, dass er es in seinem Geschäft, so gewalttätig es auch sein mochte, häufig mit überraschend normalen und bodenständigen Typen zu tun hatte – Männern, die ihre Frauen liebten und mit ihren Kindern samstagnachmittags Ausflüge machten, Männern, die an ihren Autos herumschraubten, im Diner um die Ecke Witze erzählten, sich sorgten, was ihre Mütter von ihnen dachten, und zur Kirche gingen, um Gott um Vergebung zu bitten wegen all der furchtbaren Dinge, die sie für ihre Bosse tun mussten, um sich ihr täglich Brot leisten zu können.
Doch es war auch ein Geschäft, in dem sich ebenso viele durch und durch miese Schweine tummelten. Rohe,
Weitere Kostenlose Bücher