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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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rücksichtslose Kretins, die für ihre Mitmenschen dasselbe empfanden wie für eine Fliege, die am Ende des Sommers müde über ein Fensterbrett kroch.
    Digger Pescatore gehörte zu den Letzteren, und wie so viele seines Schlags war er der Sohn eines jener Männer, welche die gewaltige Maschinerie, der sie nun alle angehörten, in Gang gesetzt hatten.
    Joe kannte auch Masos andere beiden Söhne. Er hatte seinerzeit Tim Hickeys einzigen Sohn Buddy kennengelernt. Er kannte die Söhne von Cianci, dem Boss von Miami, von Barrone, dem Boss von Chicago, und die von DiGiacomo in New Orleans. Ihre Väter waren durch die Bank Achtung gebietende, ja furchteinflößende Macher, die es aus eigener Kraft ganz nach oben geschafft hatten. Männer mit eisernem Willen und kaltem Weitblick, die schulterzuckend über Leichen gingen – aber Männer, ganz fraglos Männer, wie sie im Buche standen.
    Und jeder Einzelne ihrer Söhne, dachte Joe, während Diggers Schmatzen den Raum erfüllte, war eine Schande für die Menschheit.
    Während Digger seine Orange und gleich noch eine zweite verspeiste, unterhielten sich Maso und Joe über Masos Fahrt nach Tampa, die Hitze, Graciela und das Baby, das unterwegs war.
    Nach diesem Vorgeplänkel nahm der alte Pescatore eine Zeitung zur Hand, die neben ihm in der Sesselritze steckte. Er griff nach der Flasche, kam um den Tisch herum und setzte sich neben Joe. Er schenkte ihnen nach und schlug die Tampa Tribune auf. Das Gesicht von Loretta Figgis blickte ihnen entgegen. Darüber stand die Schlagzeile:
    TOD EINER MADONNA
    »Das ist doch die Kleine, die uns den ganzen Ärger mit dem Kasino eingebrockt hat«, sagte Maso. »Oder?«
    »Ja.«
    »Wieso hast du sie nicht schon damals umgelegt?«
    »Weil es einen Riesenaufstand gegeben hätte. Wir hätten ganz Florida auf dem Hals gehabt.«
    Maso zupfte etwas Haut von einem Stück Orange. »Wohl wahr. Trotzdem beantwortet das meine Frage nicht.«
    »Nein?«
    Er schüttelte den Kopf. »Außerdem hatte ich dir die Order erteilt, diesen Schwarzbrenner zu beseitigen. Warum hast du’s nicht getan?«
    »Turner John?«
    Maso nickte.
    »Weil wir zu einer Einigung gelangt sind.«
    Wieder schüttelte Maso den Kopf. »Niemand hat dir aufgetragen, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Ich hatte dir aufgetragen, den Hurensohn zu töten. Aber du hast es nicht getan, und zwar aus demselben Grund, weshalb du diese puttana pazzo nicht erledigt hast. Weil du kein Killer bist, Joseph. Und das wird allmählich zum Problem.«
    »Tatsächlich? Seit wann?«
    »Seit jetzt. Du bist kein Gangster.«
    »Versuchen Sie gerade, meine Gefühle zu verletzen, Maso?«
    »Du bist ein Gesetzloser, ein Bandit im schicken Anzug. Außerdem ist mir zu Ohren gekommen, du hättest vor, dein Geld künftig in legale Unternehmungen zu stecken.«
    »Ich denke drüber nach.«
    »Dann macht es dir doch sicher nichts aus, wenn wir dich hier unten ablösen lassen.«
    Aus irgendeinem unerfindlichen Grund musste Joe plötzlich lächeln. Er unterdrückte gerade noch ein Kichern und steckte sich eine Zigarette an.
    »Erinnern Sie sich noch, Maso? Als ich hierhergekommen bin, habt ihr eine Million im Jahr gemacht.«
    »Ich weiß.«
    »Und jetzt? Inzwischen liegen wir bei mehr als elf Millionen.«
    »Ja, aber das Gros stammt aus dem Rumgeschäft. Doch damit ist bald Schluss. Und um das Geschäft mit Mädchen und Rauschgift hast du dich so gut wie gar nicht gekümmert.«
    »Schwachsinn«, sagte Joe.
    »Wie bitte?«
    »Zugegeben, ich habe mich auf den Rum konzentriert, weil damit am meisten Profit zu machen war. Aber in Sachen Rauschgift haben wir unsere Gewinne um fünfundsechzig Prozent gesteigert. Und wir haben vier neue Bordelle eröffnet, seit ich hier bin.«
    »Es hätten durchaus mehr sein können. Außerdem hört man von den Huren, dass sie nur selten Prügel kassieren.«
    Joe ertappte sich dabei, wie er auf Lorettas Gesicht starrte. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Maso, ich –«
    »Mr.   Pescatore«, sagte Maso.
    Joe schwieg.
    »Joseph«, sagte Maso, »unser Freund Charlie plant ein paar kleine Veränderungen.«
    »Unser Freund Charlie« war Lucky Luciano, der von New York aus regierende Boss der Bosse. König auf Lebenszeit.
    »Was denn?«
    »Tja, wenn man sich vor Augen führt, dass Luckys rechte Hand ein Shylock ist, entbehren seine Pläne nicht einer gewissen Ironie. Offen gesagt sind sie sogar ziemlich unfair.«
    Joe lächelte und wartete, dass der alte Mann endlich auf den Punkt

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