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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Handrücken ins Gesicht. »Wo steckt das Pack?«
    »Sie sind verschwunden.« Joe sah dem Alten in die ausdruckslosen Augen. »Hokuspokus Fidibus, dreimal schwarzer Kater.«
    »Dein letztes Wort?«
    »Worauf du dich verlassen kannst«, sagte Joe.
    Und nun hob Maso die Stimme. Ein furchterregendes Grollen drang aus seiner Kehle. »Wo steckt das Pack, in drei Teufels Namen?«
    »Scheiße.« Albert schnippte mit den Fingern. »Die Tunnel. Sie sind durch die Tunnel abgehauen.«
    Maso wandte den Kopf. »Was für Tunnel?«
    »Die Tunnel, die überall unter diesem Viertel verlaufen. Durch die unterirdischen Gänge bringen sie den Rum in die Stadt.«
    »Dann schicken wir unsere Jungs da runter«, sagte Digger.
    »Die Lage der meisten Tunnel kennen nur seine Leute.« Albert deutete mit dem Daumen auf Joe. »Das haben wir dem Genie dieses Arschlochs zu verdanken. Nicht wahr, Joe?«
    Joe nickte erst Albert, dann Maso zu. »Die Stadt gehört uns.«
    »Das sehe ich anders«, sagte Albert und zog Joe den Kolben der Thompson über den Hinterkopf.

25
    Haushoch überlegen
    Joe erwachte in völliger Dunkelheit.
    Er konnte nichts sehen, und er konnte den Mund nicht öffnen. Im ersten Moment fürchtete er sogar, sie hätten ihm die Lippen zugenäht, doch nach der ersten Schrecksekunde ahnte er, dass es nur Klebeband war.
    Die Augen hatten sie ihm nicht zugeklebt. Und nun merkte er auch, dass es nicht völlig dunkel um ihn herum war, da er durch das Gewebe vor seinem Gesicht – war es Wolle? Jute? – allmählich ein paar Schemen erkennen konnte.
    Ein Sack, ging ihm plötzlich auf. Sie haben mir einen Sack über den Kopf gestülpt.
    Die Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt worden. Aber nicht mit einem Seil; das war ganz klar Metall. Seine Füße waren ebenfalls gefesselt, wenn auch eher locker; er bekam sie sogar zwei, drei Zentimeter auseinander, aber dann war Schluss.
    Er lag auf dem Bauch; seine rechte Wange ruhte auf warmem Holz. Es roch nach Ebbe. Nach Fisch und Fischblut. Plötzlich wurde ihm klar, dass es sich bei dem Geräusch, das schon eine ganze Weile an seine Ohren drang, unverkennbar um das Tuckern eines Schiffsmotors handelte. Und dann fügten sich auch seine anderen Sinneseindrücke zu einem schlüssigen Ganzen – das Klatschen der Wellen, die gegen den Schiffsrumpf schlugen, das leise Ächzen der Deckplanken unter ihm. Ein anderes Motorengeräusch konnte er nicht ausmachen, egal, wie sehr er sich konzentrierte. Er hörte Männerstimmen, Schritte auf den Planken und schließlich das charakteristische Ein- und Ausatmen von jemandem, der ganz in seiner Nähe eine Zigarette rauchte. Angestrengt horchte er nochmals, doch da war kein anderer Motor, ganz abgesehen davon, dass sie nicht sonderlich schnell unterwegs waren. Weshalb er ziemlich sicher davon ausgehen konnte, dass ihnen niemand folgte.
    »Du kannst Albert holen. Er ist wach.«
    Dann zerrten sie ihn hoch – eine Hand krallte sich durch den Sack in seine Haare, zwei andere packten ihn unter den Achselhöhlen. Die beiden Männer schleiften ihn rückwärts über das Deck und beförderten ihn unsanft auf einen Stuhl; er spürte den harten Holzsitz unter dem Hintern, die harte Lehne im Kreuz. Finger glitten über seine Handgelenke und schlossen die Handschellen auf, doch kaum waren sie aufgeschnappt, wurden seine Arme hinter die Lehne gerissen und die Eisen wieder festgemacht. Anschließend fesselten sie seinen Oberkörper mit einem Seil an den Stuhl, so fest, dass er kaum Luft holen konnte, ehe jemand seine Unterschenkel mit zwei Stricken an den Stuhlbeinen fixierte.
     Als sie den Stuhl nach hinten kippten, stieß er einen Schrei aus, den das Klebeband sofort erstickte. Er war fest davon überzeugt, dass sie ihn über Bord werfen wollten. Trotz des Sacks über seinem Kopf kniff er die Augen fest zusammen, während er verzweifelt versuchte, durch die Nasenlöcher zu atmen. Sein Atem flehte förmlich um Gnade.
    Dann spürte er, wie sie ihn mit dem gekippten Stuhl an eine Wand lehnten. Er schätzte, dass sich seine Füße und die vorderen Stuhlbeine einen knappen halben Meter über dem Boden befanden.
    Jemand zog ihm die Schuhe aus. Dann die Socken. Und dann nahm ihm jemand den Sack vom Kopf.
    Er blinzelte hektisch, als ihm das Licht unvermittelt in die Augen stach. Solch ein Licht gab es nur hier in Florida; auch jetzt durchdrang es alles, obwohl sich dichte graue Wolken am Himmel zusammenballten. Er konnte die Sonne nirgends sehen, doch das silbrige Wasser

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