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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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hatte er direkt vor ihren Augen baumeln sollen, dachte Joe, doch anscheinend hatte jemand die Länge des Stricks falsch berechnet. Und so starrten sie nun auf Sals Scheitel, während seine Leiche zwischen neunter und achter Etage hing.
    Bei Leftys Strick hatten sie keinen Fehler gemacht. Aus seinem Mund drang kein Schrei, als er urplötzlich im freien Fall gestoppt wurde und direkt vor ihrem Fenster hin- und herschwang. Die freien Hände hatte er in die Henkersschlinge gekrallt, und auf seinem Gesicht lag ein resignierter Ausdruck, als hätte ihm soeben jemand ein Geheimnis verraten, von dem er lieber nie erfahren hätte. Weil seine Finger die Schlinge lockerten, war sein Genick nicht gebrochen. Er strampelte mit den Beinen, trat nach dem Fenster, doch seinen Bewegungen wohnte weder Panik noch Verzweiflung inne. Sie wirkten seltsam durchdacht, regelrecht schneidig, und seine Miene veränderte sich kein bisschen, auch nicht, als er sie hinter dem Fenster erblickte. Er krallte die Hände weiter in die Schlinge, bis ihm der Strick den Kehlkopf eindrückte und die Zunge aus dem Mund zwang.
    Joe sah zu, wie das Leben aus Leftys Körper wich, erst langsam und qualvoll, bevor der letzte Funke rasch, nahezu schlagartig verlosch. Joes einziger Trost blieb, dass sich Leftys Lider zuckend schlossen, als es ein für alle Mal vorbei war.
    Den Blick starr aus dem Fenster gerichtet, bat er Lefty und Sal um Vergebung.
    Ich sehe euch bald wieder, Jungs. Genauso wie meinen Vater. Paolo Bartolo. Und meine Mutter.
    Und dann:
    Ich pack das hier nicht. Ich habe nicht den Mut dazu.
    Und dann:
    Bitte, Gott, bitte. Ich tue alles, was du willst, nur lass mich nicht sterben. Ich flehe dich an, habe Gnade mit mir. Du kannst mich nicht sterben lassen. Ich werde bald Vater. Graciela und ich erwarten ein Kind, um das wir uns kümmern müssen.
    Ich bin noch nicht bereit.
    Sein eigener Atem widerhallte in seinen Ohren, als sie ihn an das andere Fenster führten, von dem man auf die Eigth Avenue, die Straßen von Ybor und die Bucht hinausblickte. Noch bevor sie dort angelangt waren, hörte er die Schüsse. Aus dieser Höhe wirkten die Männer auf der Straße, als seien sie bloß zentimetergroß, während sie sich mit Faustfeuerwaffen, Thompsons und anderen Maschinenpistolen erbitterte Gefechte lieferten. Sie trugen Hüte, Regenmäntel und Anzüge. Und Uniformen.
    Die Polizisten waren auf Seiten des Syndikats. Eine Reihe von Joes Männern lag tot auf dem Asphalt, einige hatte es in ihren Autos erwischt, und andere wiederum schossen zurück, was das Zeug hielt, doch war nicht zu übersehen, dass sie sich auf dem Rückzug befanden. Eine Garbe aus einer Maschinenpistole zerfetzte die Brust von Eduardo Arnaz, der in die Auslage eines Bekleidungsgeschäfts fiel. Noel Kenwood wurde in den Rücken getroffen und versuchte sich vergebens wieder aufzurichten. Die anderen Männer konnte Joe aus dieser Entfernung nicht erkennen, während sich die Schlacht erst einen, dann zwei Blocks weiter in westlicher Richtung verlagerte. Einer seiner Jungs knallte an der Ecke Sixteenth Street mit einem Plymouth Phaeton gegen einen Laternenpfahl, doch ehe er den Wagen verlassen konnte, war er auch schon von Polizisten und Syndikatsmitgliedern umstellt, die ihn mit Kugeln durchsiebten. Giuseppe Esposito war stolzer Besitzer eines Phaeton, doch ließ sich von hier oben nicht sagen, ob er sein Automobil auch persönlich gesteuert hatte.
    Lauft, Jungs. Lauft um euer Leben.
    Als hätten sie seine innere Stimme vernommen, stellten seine Leute das Feuer ein und zerstreuten sich in alle Richtungen.
    Maso legte Joe die Hand in den Nacken. »Es ist vorbei, mein Junge.«
    Joe schwieg.
    »Ich wünschte, wir hätten das anders regeln können.«
    »Ach ja?«, sagte Joe.
    Streifenwagen und Autos des Syndikats rasten die Eighth Avenue hinunter und bogen in nördlicher und südlicher Richtung auf die Seventeenth Street ab, um seinen Männern auf der Ninth und Sixth den Weg abzuschneiden.
    Doch plötzlich waren sie nicht mehr da.
    Eben noch war einer seiner Männer über den Asphalt gehetzt, dann aber urplötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Pescatores Häscher hielten an den Straßenecken, deuteten ratlos in verschiedene Richtungen und brüllten aufeinander ein.
    »Verdammt«, sagte Maso zu Albert. »Wo sind die alle hin?«
    Albert hob die Hände und schüttelte den Kopf.
    »Joseph«, sagte Maso. »Komm schon, raus mit der Sprache.«
    »Nenn mich nicht Joseph.«
    Maso schlug ihm mit dem

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