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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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immer gewünscht, du wärst mein Sohn.« Er hörte, wie ihm die Stimme versagte. Er starrte in sein Glas.
    »Komisch«, sagte Joe. »Ich habe mir nämlich nie gewünscht, dass du mein Vater wärst.«
    Die Kugel durchschlug Masos Kehle. Das Letzte, was er sah, war ein Tropfen seines eigenen Blutes, der in seinem Anisette landete.
    Und wieder wurde alles schwarz.
    Das Glas fiel Maso aus der Hand. Er sackte auf die Knie und schlug mit dem Kopf gegen den Couchtisch. Seine leeren Augen starrten die Wand zu seiner Linken an. Joe stand auf und warf einen Blick auf den Schalldämpfer, den er nachmittags für drei Dollar in einem Eisenwarenladen erstanden hatte. Gerüchten zufolge wollte der Kongress den Preis auf zweihundert Dollar anheben und Schalldämpfer dann ganz verbieten.
    Schade drum.
    Joe jagte Maso noch eine Kugel in den Kopf. Nur um ganz sicherzugehen.
    Draußen auf dem Flur hatten sich Pescatores Männer widerstandslos die Waffen abnehmen lassen, genau wie Joe vermutet hatte. Sie hielten ungern den Kopf hin für jemanden, der ihr Leben so geringschätzte, dass er ihnen einen Vollidioten wie Digger vor die Nase setzte. Joe verließ Masos Suite und machte die Tür hinter sich zu. Er sah in die Runde; auf den Gesichtern spiegelte sich Unschlüssigkeit. Dion kam aus Diggers Zimmer, und so standen sie einen Moment lang auf dem Flur herum, dreizehn Männer mit Maschinenpistolen.
    »Ich möchte nur ungern noch jemanden umlegen«, sagte Joe. Er sah zu Anthony Servidone. »Oder willst du sterben?«
    »Nein, Mr.   Coughlin. Ich will nicht sterben.«
    »Und ihr?« Joe blickte von einem zum anderen und erntete reihum feierliches Kopfschütteln. »Wenn ihr nach Boston zurückwollt, habt ihr meinen Segen. Wenn ihr hierbleiben, ein bisschen Sonne tanken und mit den Mädchen flirten wollt, haben wir Arbeit für euch. Und da Jobs ja heutzutage rar sind… Überlegt es euch.«
    Damit war alles gesagt. Joe zuckte die Achseln, und dann stiegen er und Dion in den Lift und fuhren zum Foyer hinunter.
    Eine Woche später betraten Joe und Dion das Hinterzimmer einer Versicherungsgesellschaft in Manhattan und nahmen gegenüber von Lucky Luciano Platz.
    Joes Theorie, der zufolge jene Männer, die am meisten Angst verbreiteten, auch am meisten Angst hatten, konnte er im selben Moment zu den Akten legen. Angst war diesem Mann fremd. Seine versteinerte Miene verriet keinerlei Gefühlsregung, abgesehen von einem Schimmer unbändiger Aggression und Kälte, der in den tiefsten Tiefen seines toten Blicks lauerte.
    Dieser Mann kannte nur eine Angst – die Angst anderer Menschen.
    Er war tadellos gekleidet, und er wäre glatt als Schönling durchgegangen, hätte seine Haut nicht ausgesehen wie ein Kalbsschnitzel, das mit dem Fleischklopfer bearbeitet worden war. Seit einem fehlgeschlagenen Attentat auf ihn hing sein rechtes Augenlid leicht herab, und seine riesigen Hände sahen aus, als könnte er einen Schädel wie eine gekochte Tomate zerquetschen.
    »Ihr wollt dieses Büro doch sicher lebend verlassen«, sagte er, als sie sich gesetzt hatten.
    »Ja, Sir.«
    »Dann erklärt mir doch, warum ich meine Bostoner Leute austauschen sollte.«
    Sie taten ihm den Gefallen, und während sie ihr Sprüchlein aufsagten, suchte Joe in Lucianos dunklen Augen nach einem Anhaltspunkt, ob ihm ihre Argumente einleuchteten oder nicht, aber ebenso gut hätten sie mit einer Marmorwand sprechen können – das Einzige, was man darin sehen konnte, war das eigene Spiegelbild.
    Als sie fertig waren, trat Lucky ans Fenster und sah auf die Sixth Avenue hinab. »Ihr habt da unten im Süden ja ein schönes Tamtam veranstaltet. Was ist eigentlich aus dem Polizeichef von Ybor geworden? War er nicht der Vater dieser durchgedrehten Betschwester?«
    »Den haben sie in Pension geschickt«, sagte Joe. »Soviel ich weiß, befindet er sich in einem Sanatorium. Er kann uns nicht mehr in die Quere kommen.«
    »Ganz im Gegensatz zu seiner Tochter damals. Und ihr habt sie gewähren lassen. Deshalb giltst du auch als zu weich. Nicht etwa als Feigling, das wollte ich damit nicht sagen. Alle Welt weiß, dass du 1930 um ein Haar diesen Lackel abserviert hättest, und der Überfall auf das Schiff war wahrlich nicht von schlechten Eltern. Aber die Sache mit dem Schwarzbrenner anno ’31 hast du gründlich verbockt, und dann habt ihr euch von der Puppe auch noch den Kasino-Deal vermasseln lassen.«
    »Stimmt«, sagte Joe. »Und ich habe dafür auch keine Entschuldigung.«
    »Wohl wahr«, sagte

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