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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition)
Autoren: Dennis Lehane
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drauf.«
    Sie überlegte eine Weile. Jedes Mal, wenn sie sich vorbeugte, um die Asche von ihrer Zigarette zu schnippen, schien sich das Muttermal sacht zu bewegen. »Er will, dass ich am Samstag zur Eröffnung dieses neuen Hotels komme. Du weißt schon, das in der Providence Street.«
    »Du meinst das Statler?«
    Sie nickte. »Alle Zimmer haben Radio. Und italienischen Marmor in den Bädern.«
    »Und?«
    »Eigentlich ist er mit seiner Frau dort. Es macht ihn wohl scharf, wenn ich in Anwesenheit seiner Gattin aufkreuze. Anschließend fährt er für ein paar Tage nach Detroit, um mit ein paar neuen Zulieferern zu reden.«
    »So, so.«
    »Ja, und das bringt uns doch erst mal reichlich Zeit. Wenn er zurückkommt, haben wir schon drei, vier Tage Vorsprung.«
    Joe durchdachte das Ganze. »Gar nicht übel.«
    »Ich weiß.« Sie lächelte wieder. »Kannst du dich am Samstag ein bisschen in Schale werfen und zum Statler kommen? So gegen sieben vielleicht?«
    »Gemacht.«
    »Und dann sind wir weg.« Sie sah ihn über ihre Schulter hinweg an. »Aber hör auf, Albert zu beschimpfen. Er hat meinem Bruder eine Stelle besorgt. Und meiner Mutter letzten Winter einen Mantel geschenkt.«
    »Na, dann.«
    »Ich will nicht mit dir streiten.«
    Joe war ebenso wenig auf Streit aus. Er zog ohnehin jedes Mal den Kürzeren, wenn sie sich in die Haare kriegten, fing dann an, sich für Dinge zu entschuldigen, die er nicht getan, ja, nicht mal gedacht hatte, sogar dafür, dass er selbige Dinge nicht getan, ja, nicht mal im Traum in Erwägung gezogen hatte. Teufel, es war so kompliziert, dass er davon Kopfschmerzen bekam.
    Er küsste ihre Schulter. »Nein, wir streiten nicht.«
    Sie bedachte ihn mit einem koketten Augenaufschlag. »Hurra.«
    Gleich nachdem Dion und Paolo aus der First National in Pittsfield gekommen und ins Auto gesprungen waren, setzte Joe den Wagen rückwärts an einen Laternenpfahl, weil er gerade an ihr Muttermal dachte. An feuchten Sand und daran, wie es zwischen ihren Schulterblättern wanderte, wenn sie sich zu ihm umdrehte und ihm gestand, dass sie ihn vielleicht doch liebte – und dass es sich genauso bewegte, wenn sie sagte, dass Albert White gar kein so übler Typ sei. Im Grunde war der gute alte Albert ein Pfundskerl. Ein Freund der kleinen Leute, der einer bedürftigen Mutter großzügig einen neuen Wintermantel zukommen ließ, solange ihre Tochter ihn mit ihrem Körper warm hielt. Das Muttermal sah aus wie ein Schmetterling mit zerfledderten Flügeln und schien damit in gewisser Weise für Emma selbst zu stehen, doch dann sagte er sich abermals, dass es keine Rolle spielte, heute Abend würden sie ohnehin die Stadt verlassen, und damit waren alle Probleme für immer passé. Sie liebte ihn. Das war das Einzige, was zählte, und alles andere würde hinter ihnen im Rückspiegel verschwinden. Was immer Emma ausmachte, er wollte es zum Frühstück, zu Mittag, zum Abendessen und zwischendurch. Er wollte es für den Rest seines Lebens – die Sommersprossen auf ihren Schlüsselbeinen und ihrem Nasenrücken, das Seufzen, das ihr nach einem Lachen über die Lippen kam, die Art und Weise, wie sie »vier« in ein Wort mit zwei Silben verwandelte.
    Dion und Paolo stürmten aus der Bank.
    Und sprangen auf den Rücksitz.
    »Fahr!« , zischte Dion.
    Ein großer, kahlköpfiger Typ in grauem Hemd und schwarzen Hosenträgern trat aus der Bank, einen Knüppel in der Hand. Ein Knüppel war keine Knarre, aber auch damit konnte der Kerl einigen Schaden anrichten, wenn er ihnen zu nahe kam.
    Joe rammte den Schalthebel mit dem Handballen in den ersten Gang und ging aufs Gas, doch der Wagen fuhr plötzlich rückwärts. Fünf Meter rückwärts. Dem Kerl mit dem Knüppel fielen fast die Augen aus dem Kopf.
    »In die Eisen!«, brüllte Dion.
    Joe trat voll auf die Bremse und nahm den Rückwärtsgang heraus, aber sie knallten trotzdem gegen den Laternenpfahl. Der Aufprall war nicht schlimm, einfach nur peinlich. Der Schwachkopf mit den Hosenträgern würde seiner Frau und seinen Kumpels bis an sein Lebensende davon erzählen, wie er drei bewaffnete Gangster derart eingeschüchtert hatte, dass sie vor Schreck den Rückwärtsgang eingelegt hatten.
    Er verschwand in einer Staubwolke, als der Wagen vorwärtsschoss und die Reifen Straßendreck und kleine Steinchen aufwirbelten. Mittlerweile war ein weiterer Typ vor der Bank aufgetaucht. Er trug ein weißes Hemd und eine braune Hose. Im ersten Moment begriff Joe nicht, als er in den Rückspiegel sah
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