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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Neues?«
    »Ich dachte, Sie hätten schon davon gehört.«
    Wilson schüttelte den Kopf. »Ich war den ganzen Morgen auf einer Haushaltssitzung.«
    »Ist vor ein paar Minuten über den Fernschreiber hereingekommen. Sie haben Paolo Bartolo gefasst.«
    »Sie?«
    »Die Vermont State Police.«
    »Lebend?«
    Thomas schüttelte den Kopf.
    Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Paolo Bartolo an jenem strahlend schönen Frühlingsmorgen in einem Wagen voller Dosenschinken unterwegs gewesen; die Büchsen hatten sich nicht nur im Kofferraum, sondern auch im Fußraum vor dem Beifahrersitz gestapelt. Als er auf der South Main Street in St.   Alban’s, etwa fünfzehn Meilen von der kanadischen Grenze entfernt, eine rote Ampel überfuhr, versuchte ihn eine Streife anzuhalten, doch Paolo trat das Gas durch. Der Cop nahm die Verfolgung auf, der sich im Nu weitere Streifenwagen anschlossen, und schließlich gelang es ihnen, Paolo nahe einer Meierei in Enosburg Falls von der Straße abzudrängen.
    Ob Paolo beim Verlassen seines Automobils eine Waffe gezogen hatte, war noch nicht geklärt. Möglicherweise hatte er nur an seinen Gürtel gegriffen. Es konnte auch sein, dass er schlicht seine Hände nicht schnell genug gehoben hatte. Da die Bartolo-Brüder bereits einen State Trooper auf dem Gewissen hatten – Jacob Zobe war ums Leben gekommen auf einer ebenso abgelegenen Landstraße –, gingen die Polizisten kein Risiko ein. Alle beteiligten Cops hatten mindestens zwei Schüsse aus ihren Dienstrevolvern abgegeben.
    »Wie viele Beamte waren denn involviert?«, fragte Wilson.
    »Sieben, soweit ich informiert bin.«
    »Ist bekannt, wie viele Kugeln den Verdächtigen getroffen haben?«
    »Offenbar elf, aber über die tatsächliche Anzahl wird wohl erst die Autopsie Aufschluss geben.«
    »Und Dion Bartolo?«
    »Der hat sich schätzungsweise in Montreal verkrochen. Oder irgendwo dort in der Nähe. Dion war schon immer der Schlauere von den beiden.«
    Der Commissioner fischte ein Blatt Papier von einem kleinen Stapel auf seinem Schreibtisch und plazierte es auf ein paar anderen Unterlagen. Er blickte aus dem Fenster zur Turmspitze des ein paar Blocks entfernten Custom House hinüber, die ihn ganz und gar in ihren Bann zu ziehen schien. »Das Department hat keine Wahl, Tom. Sie können dieses Büro unmöglich als stellvertretender Polizeichef verlassen. Das leuchtet Ihnen doch hoffentlich ein, oder?«
    »Ja, verstehe.« Thomas ließ den Blick durch das Büro wandern, auf das er seit zehn Jahren scharf gewesen war, ohne auch nur ansatzweise ein Gefühl von Verlust zu empfinden.
    »Wenn ich Sie jetzt zum Captain degradieren würde, bräuchte ich allerdings ein Revier, das ich Ihnen übergeben könnte.«
    »Und das haben Sie nicht.«
    »Nein.« Der Commissioner beugte sich mit verschränkten Händen vor. »Was Ihre Karriere angeht, können Sie jetzt ganz in Ruhe für Ihren Sohn beten, Thomas. Sie sind nämlich gerade am Ende der Fahnenstange angelangt.«
    »Sie ist nicht tot«, sagte Joe.
    Vier Stunden zuvor war er aus dem Koma erwacht. Zehn Minuten nach dem Anruf des Doktors war Thomas im Mass General eingetroffen, flankiert von Jack D’Jarvis, einem kleinen älteren Herrn, der stets Anzüge aus Baumwolle in den scheußlichsten Farben trug – baumrindenbraune, schlämmsandgraue und schwarze, die offenbar zu lange in der Sonne gelegen hatten. Seine Krawatten passten farblich wie die Faust aufs Auge; seine Hemdkragen waren vergilbt, und wenn er ausnahmsweise mal einen Hut trug, war dieser zu groß für seinen Kopf und saß auf den Ohren. Jack D’Jarvis sah aus, als befände er sich schon seit einer Ewigkeit auf dem absteigenden Ast – tatsächlich lief er schon seit fast drei Jahrzehnten so herum –, doch nur Leute, die ihn nicht kannten, ließen sich von seinem Aufzug täuschen. Er war der beste Strafverteidiger Bostons, und niemand konnte ihm auch nur ansatzweise das Wasser reichen. Im Lauf der Jahre hatte Jack D’Jarvis vor Gericht mindestens zwei Dutzend Fälle zerpflückt, die Thomas und der zuständige Staatsanwalt für absolut wasserdicht gehalten hatten. Es hieß, nach seinem Ableben würde D’Jarvis sich die Zeit im Himmel wohl damit vertreiben, seine früheren Klienten aus der Hölle herauszupauken.
    Die Ärzte untersuchten Joe satte zwei Stunden lang; Thomas und D’Jarvis standen sich draußen auf dem Gang die Beine in den Bauch, zusammen mit dem jungen Streifenpolizisten, der vor der Tür Wache hielt.
    »Einen Freispruch

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