Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
mich an, Joseph.«
    Joe blickte auf. Maso musterte ihn so amüsiert und neugierig wie ein Wolf, der gerade auf ein Nest frisch geschlüpfter Küken gestoßen war, wo er sie am allerwenigsten erwartet hatte.
    »Du warst offenbar nicht sehr überzeugend.«
    »Ich hab’s versucht, Mr.   Pescatore«, sagte Joe.
    Erneut ließ Maso den Blick zu seinen Männern schweifen. »Er hat’s versucht.«
    Naldo Alientes Grinsen entblößte eine Reihe von Zähnen, die aussahen wie Fledermäuse, die in einer Höhle von der Decke hingen. »Und voll vergeigt.«
    »Hören Sie, Mr.   Pescatore«, sagte Joe. »Er hat mir etwas gegeben.«
    Maso legte die Hand hinter sein rechtes Ohr. »Er hat was?«
    »Er hat mir etwas für Sie gegeben.« Joe reichte die Uhr hinüber.
    Maso nahm die Goldlegierung in Augenschein. Er ließ die Uhr aufspringen, besah sie sich eingehend und inspizierte die Innenseite des Deckels, wo in feinst geschwungenen Lettern die Worte Patek Philippe eingraviert waren. Anerkennend hob er die Augenbrauen.
    »Das ist die 1902er, achtzehn Karat«, erklärte er Naldo, ehe er sich wieder zu Joe wandte: »Von der sind nur zweitausend Stück hergestellt worden. Das Ding ist mehr wert als mein Haus. Wie kommt ein Bulle an so eine Uhr?«
    »Er hat 1908 einen Banküberfall vereitelt«, spulte Joe die Geschichte ab, die ihm sein Onkel Eddie tausendmal erzählt hatte – sein Vater selbst sprach nie darüber. »Am Codman Square. Er hat einen der Kerle erschossen, bevor der den Filialleiter erschießen konnte.«
    »Und der Filialleiter hat ihm die Uhr geschenkt?«
    Joe schüttelte den Kopf. »Der Bankdirektor. Der Filialleiter war sein Sohn.«
    »Und dein Vater schenkt die Uhr jetzt mir, um das Leben seines Sohnes zu retten?«
    Joe nickte.
    »Ich habe selbst drei Söhne. Wusstest du das?«
    »Ja«, sagte Joe, »hab ich gehört.«
    »Siehst du? Und deshalb weiß ich auch, was es heißt, seine Söhne zu lieben.«
    Maso lehnte sich zurück und betrachtete wieder die Uhr. Schließlich gab er einen Seufzer von sich und steckte sie ein. »Sprich noch mal mit deinem Vater. Und richte ihm meinen besten Dank aus.« Maso stand auf. »Und dann sag ihm, dass er gefälligst tun soll, was ich ihm aufgetragen habe.«
    Masos Leute erhoben sich wie ein Mann, und dann hatten sie den Speisesaal auch schon verlassen.
    Als Joe, verschwitzt und schmutzig, nach der Arbeit in der Kettenfabrik seine Zelle betrat, warteten dort drei Männer auf ihn. Die Etagenbetten waren immer noch nicht wieder da, doch die Matratzen lagen auf dem Boden. Und auf den Matratzen hockten die drei Männer. Seine eigene lag hinter ihnen an der Wand unter dem hohen Fenster, am weitesten von der Zellentür entfernt. Zwei der Kerle hatte er noch nie gesehen, da war er sich ganz sicher, doch der dritte kam ihm irgendwie bekannt vor. Er war um die dreißig und eher klein, hatte aber ein auffällig langes Gesicht und ein Kinn, das so spitz wie seine Ohren war. In Gedanken ging Joe die Namen und Gesichter sämtlicher Männer im Knast durch, bis ihm klar wurde, dass er sich Basil Chigis gegenübersah, einem von Emil Lawsons Leuten, der ebenso wie sein Boss lebenslänglich einsaß. Dem Hörensagen nach hatte er die Finger eines Jungen verspeist, den er in einem Keller in Chelsea getötet hatte.
    Joe sah von einem zum anderen, lange genug, um deutlich zu machen, dass er keine Angst vor ihnen hatte, auch wenn das Gegenteil der Fall war, und sie musterten ihn ihrerseits, blinzelten zwar ein paarmal, gaben aber keinen Ton von sich. Weshalb Joe sich ebenso in Schweigen hüllte.
    Schließlich hörten die Kerle auf zu glotzen und fingen an, Karten zu spielen. Sie spielten um Knochen, Knochen von Wachteln, Hühnern und kleineren Raubvögeln, die sie in Leinenbeutelchen bei sich führten. Die bleich gekochten Knochen klapperten, wenn sie in den Pott geworfen wurden. Als die Sonne unterging, spielten die Männer immer noch; außer »Erhöhe«, »Lass sehen« und »Passe« fiel kein einziges Wort. Ab und zu sah einer von ihnen zu Joe herüber, widmete sich dann aber gleich wieder dem Kartenspiel.
    Als es dunkel geworden war, wurde das Licht auf den Gängen gelöscht. Die drei Männer versuchten, ihre Hand zu Ende zu spielen, doch dann drang Basil Chigis’ Stimme durch die stockfinstere Zelle – »Drauf geschissen« –, und Joe hörte, wie sie die Karten vom Boden klaubten und die Knochen klappernd in die Beutel zurückwanderten.
    Schweigend hockten sie im Dunkel. Nur ihr Atem war zu

Weitere Kostenlose Bücher