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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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hören.
    Zeit spielte in dieser Nacht keine Rolle. Ob er nun erst seit einer halben Stunde oder bereits seit zwei Stunden hier saß – er wusste es nicht. Die Männer hockten ihm im Halbkreis gegenüber; ihr Atem und ihre Körperausdünstungen stiegen ihm in die Nase. Der Typ rechts von ihm stank besonders widerlich, nach getrocknetem alten Schweiß, der wie ranziger Essig roch.
    Als sich seine Augen allmählich an das Dunkel gewöhnten, verwandelte sich die Schwärze um ihn herum in diffuses Dämmerlicht. Sie saßen ihm mit angezogenen Beinen gegenüber, die Knöchel gekreuzt, den Blick starr auf ihn gerichtet.
    Von einer der umliegenden Fabriken drang das Heulen einer Sirene zu ihnen herauf.
    Selbst wenn er im Besitz eines Messers gewesen wäre, hätte er es wohl kaum mit allen dreien aufnehmen können. Womöglich nicht mal mit einem – da er noch nie jemanden mit einem Messer attackiert hatte, hätten sie ihm die Waffe wahrscheinlich ruck, zuck abgenommen und postwendend an ihm ausprobiert.
    Eins war klar: Sie warteten darauf, dass er etwas sagte. Er wusste nicht, woher er das wusste, aber er wusste es. Sobald er das Schweigen brach, würden sie in die Tat umsetzen, was immer sie mit ihm vorhatten. Jetzt den Mund aufzumachen hieß um Gnade zu winseln. Er brauchte gar nicht um sein Leben zu flehen: Sobald auch nur ein einziges Wort über seine Lippen kam, würden sie ihm das als Bettelei auslegen – und sich scheckig lachen, bevor sie ihm den Garaus machten.
    Basil Chigis’ Augen hatten die Farbe eines winterlichen Flusses, der kurz vor dem Zufrieren stand. Es hatte eine Weile gedauert, bis Joe sie im Dunkel wieder richtig erkennen konnte, doch dann sah er sie fast so deutlich wie zuvor. Er stellte sich vor, wie das Winterblau auf seinem Daumen brennen würde, wenn er Basil die Augäpfel mit aller Macht in die Höhlen drückte.
    Es sind bloß Menschen, sagte er sich, keine Dämonen. Einen Menschen kann man töten. Auch drei, wenn es drauf ankommt. Du musst nur handeln.
    Je länger er in Basil Chigis’ fahlblau flackernde Augen blickte, desto deutlicher spürte er, wie sie ihre Macht über ihn verloren, während er sich ein ums andere Mal daran erinnerte, dass diese Männer keine übermenschlichen Kräfte besaßen, jedenfalls auch auf nichts anderes zurückgreifen konnten als er selbst – Entschlossenheit, physische Kraft und Willensstärke –, weshalb es durchaus möglich war, dass er sie überrumpeln konnte.
    Und dann was? Wie weiter? Seine Zelle war sieben Fuß lang und elf Fuß breit.
    Du musst den Willen aufbringen, sie zu töten. Zuschlagen, bevor sie es tun. Und wenn sie am Boden liegen, brich ihnen das Genick.
    Aber er konnte sich gut zureden, soviel er wollte; er wusste, dass er auf verlorenem Posten stand. Hätte er sich bloß einem Mann gegenübergesehen, hätte er vielleicht eine Chance gehabt. Aber drei ausgewachsene Kerle aus sitzender Position zu überwältigen… Das war absolut aussichtslos.
    Die Angst rumorte in seinen Eingeweiden, schnürte ihm die Kehle zu. Plötzlich konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach, wie seine Schultern zu beben begannen.
    Im selben Augenblick nahmen sie ihn von rechts und links in die Zange, so blitzartig, dass er es erst realisierte, als sie die Enden von zwei spitz zugefeilten Metallstücken bis zum Trommelfell in seine Gehörgänge geschoben hatten. Er konnte nicht sehen, was sie in Händen hielten, wohl aber, was Basil Chigis unter seinen Häftlingsklamotten hervorzog: eine dünne Metallstange, etwa halb so lang wie ein Billardqueue, deren Spitze sich von oben in Joes Halsansatz bohrte. Chigis griff hinter sich und förderte etwas aus seinem Gürtel zutage, bei dessen Anblick Joe unwillkürlich blinzeln musste, schlicht, weil er nicht glauben konnte, was er da vor sich sah. Basil Chigis hielt einen Fleischhammer in der erhobenen Hand.
    Gegrüßet seist du, Maria, dachte Joe, voll der Gnaden…
    Den Rest hatte er vergessen. Sechs Jahre lang war er Messdiener gewesen, und trotzdem hatte er alles vergessen.
    Basil Chigis’ Blick war unverändert starr, verriet nichts, aber auch gar nichts über seine Absichten. In der Linken hielt er die Stange, die Finger seiner Rechten umklammerten den Griff des Fleischhammers. Ein Schlag, und die Spitze der Metallstange würde erst seine Kehle und dann sein Herz durchbohren.
    …der Herr ist mit dir. Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret

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