In der Nacht (German Edition)
hast…
Nein, Quatsch. Das war das Tischgebet, das sie früher vor dem Abendessen gesprochen hatten. Das Ave-Maria ging anders. Es ging…
Er konnte sich ums Verrecken nicht daran erinnern.
Vater unser, der du bist im Himmel…
Die Zellentür wurde geöffnet, und Emil Lawson kam herein. Er kniete sich rechts neben Basil Chigis und musterte Joe mit schräggelegtem Kopf.
»Bist ja wirklich ein Hübscher«, sagte er und rieb sich die unrasierten Wangen. »Fällt dir irgendwas ein, was ich jetzt nicht von dir kriegen könnte?«
Meine Seele? , dachte Joe. Im Moment war er sich jedoch selbst da nicht sicher.
Eine Antwort würde der Dreckskerl jedenfalls nicht bekommen.
»Ich hab dich was gefragt«, sagte Emil Lawson. »Antworte, oder ich reiß dir ein Auge raus und verfüttere es an Basil.«
»Nein, nichts«, sagte Joe.
Emil Lawson wischte mit der Handfläche über den Boden, bevor er sich setzte. »Du hättest bestimmt nichts dagegen, wenn wir wieder abhauen, oder?«
»Nein.«
»Du solltest etwas für Mr. Pescatore erledigen. Und du hast dich geweigert.«
»Habe ich nicht. Die Entscheidung lag nicht bei mir.«
Joe schwitzte derart, dass die Metallspitze an seinem Hals verrutschte und schmerzhaft über seine Kehle schrammte. Basil Chigis stieß sie wieder unter seinen Adamsapfel.
»Sondern bei deinem Vater.« Emil Lawson nickte. »Dem Bullen. Was sollte er tun?«
Was?
»Sie wissen doch, was er tun sollte.«
»Ich will’s von dir hören. Also antworte gefälligst.«
Joe holte tief Luft. »Brendan Loomis.«
»Und?«
»Sie haben ihn hopsgenommen. Übermorgen kommt er vor Gericht.«
Emil Lawson verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lächelte. »Und dein alter Herr sollte dafür sorgen, dass er umgelegt wird. Aber er wollte nicht mitspielen.«
»Genau.«
»Aber schließlich hat er doch eingewilligt.«
»Hat er nicht.«
Emil Lawson schüttelte den Kopf. »Sobald dir morgen einer von Pescatores Männern über den Weg läuft, gibst du Bescheid, dass sich dein Vater über einen Wärter mit dir in Verbindung gesetzt hat. Er wird sich um Brenny Loomis kümmern. Außerdem hat er herausgekriegt, in welchen Unterschlupf sich Albert White zum Schlafen zurückzieht, und du hast die Adresse. Aber du gibst sie dem alten Pescatore nur unter vier Augen. Kannst du mir so weit folgen, mein Hübscher?«
Joe nickte.
Emil Lawson reichte Joe etwas, das in Wachstuch eingeschlagen war. Joe öffnete das Bündel – ein weiteres Metallstück, fast nadeldünn. Es war einst ein Schraubenzieher gewesen, einer von den kleinen, mit denen man die Schrauben an Brillenscharnieren festzog. Mit dem unwesentlichen Unterschied, dass Schraubenzieher lange nicht so scharf waren. Die Spitze erinnerte an einen Rosendorn. Vorsichtig fuhr Joe mit der Handfläche darüber und handelte sich einen Kratzer ein.
Sie ließen von ihm ab und steckten ihre Waffen weg.
Emil beugte sich zu ihm. »Wenn du dem Alten nah genug bist, um ihm die Adresse ins Ohr zu flüstern, rammst du ihm das Ding direkt in sein verdammtes Hirn.« Er zuckte mit den Schultern. »Oder in die Kehle. Hauptsache, er ist weg vom Fenster.«
»Ich dachte, ihr arbeitet für ihn«, sagte Joe.
»Ich arbeite für mich.« Lawson schüttelte den Kopf. »Ich habe ab und zu mal ’nen Job für ihn übernommen. Aber jetzt bezahlt mich jemand anders.«
»Albert White«, sagte Joe.
»Das ist mein Boss.« Emil Lawson gab Joe einen Klaps auf die Wange. »Und deiner jetzt auch, mein Hübscher.«
Hinter seinem Haus in der K Street unterhielt Thomas Coughlin einen kleinen Gemüsegarten. Im Lauf der Jahre waren seine Mühen mal mehr, mal weniger belohnt worden, doch seit Ellen vor zwei Jahren von ihm gegangen war, hatte er dem Garten mehr Zeit widmen können, und mittlerweile trug er ihm sogar ein hübsches Extrasümmchen ein, da er stets weiterverkaufte, was er nicht verbrauchen konnte.
Vor einer kleinen Ewigkeit hatte Joe – damals war er fünf oder sechs gewesen – Anfang Juni beschlossen, seinem Vater bei der Ernte zu helfen. Thomas hatte nach einer Doppelschicht und diversen Absackern mit Eddie McKenna noch geschlafen, als er von der Stimme seines Jüngsten geweckt worden war, der draußen im Garten mit sich selbst redete oder womöglich auch mit einem imaginären Freund. Jedenfalls hatte er offenbar eine Menge Gesprächsbedarf, was kein Wunder war, da er zu Hause kaum Ansprache bekam. Thomas arbeitete zu viel, und Ellen hatte zu jenem Zeitpunkt bereits eine, nun ja, recht
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