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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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sie wusste. Dem Hörensagen nach war Ivelia mit einem Mann verheiratet gewesen, der 1912 während der Arbeiterrevolte auf den Zuckerrohrplantagen ums Leben gekommen war. Außerdem ging das Gerücht, sie habe die Geschichte nur in die Welt gesetzt, um von ihren sexuellen Präferenzen abzulenken.
    »Esteban«, fuhr Dion fort, »gehört eine ganze Reihe von Unternehmen, sowohl hier als auch auf Kuba. Junger Bursche, um einiges jünger als seine Schwester, aber verdammt clever. Sein Vater hat noch mit Ybor persönlich Geschäfte gemacht, als Ybor –«
    »Moment mal«, unterbrach Joe ihn. »Die Stadt ist nach einer Person benannt?«
    »Ja, klar«, sagte Dion. »Nach Vicente Ybor. Einem Zigarrenbaron.«
    »Das nenne ich Macht«, sagte Joe. Östlich von ihnen sah er Ybor City, ein schmuckes Städtchen, das ihn aus der Entfernung einmal mehr an New Orleans erinnerte.
    »Also, ich weiß nicht«, sagte Dion. »Coughlin City?« Er schüttelte den Kopf. »Klingt irgendwie nach gar nichts.«
    »Stimmt«, sagte Joe. »Und Coughlin County?«
    Dion lachte. »Schon besser.«
    »Hat was, oder?«
    »Sag mal, bist du im Gefängnis größenwahnsinnig geworden?«, fragte Dion.
    »Du kannst ja weiter kleine Brötchen backen«, gab Joe zurück.
    »Warum dann nicht gleich Coughlin Country? Nee, warte mal… Coughlin Continent .«
    Dion röhrte los und schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad, und Joe stimmte in sein Lachen ein, selbst ein wenig verblüfft darüber, wie sehr ihm sein alter Freund gefehlt hatte – es würde ihm das Herz brechen, wenn er gegen Ende der Woche womöglich seine Ermordung in Auftrag geben musste.
    Dion fuhr die Jefferson in Richtung der Gerichts- und Amtsgebäude; als sie in einen kleinen Stau gerieten, wurde die Hitze im Auto wieder unerträglich.
    »Und was steht als Nächstes auf der Agenda?«, fragte Joe.
    »Willst du Heroin? Morphium? Koks?«
    Joe schüttelte den Kopf. »Habe ich alles in der Fastenzeit drangegeben.«
    »Falls dir mal wieder danach ist, bist du hier jedenfalls an der richtigen Adresse, Alter. Tampa, Florida – Drogenhauptstadt des Südens.«
    »Weiß die Handelskammer davon?«
    »Ja, und es stinkt ihnen gewaltig. Egal, eigentlich wollte ich darauf hinaus…«
    »Ach, die Pointe kommt noch«, sagte Joe.
    »Ich hab durchaus meine lichten Momente«, erwiderte Dion.
    »Dann mal raus mit der Sprache.«
    »Einer von Estebans Jungs, Arturo Torres heißt er, ist letzte Woche mit Kokain erwischt worden. Unter normalen Umständen wäre er eine halbe Stunde später wieder draußen gewesen, aber im Augenblick schnüffelt hier eine Sondereinheit herum. Vor ein paar Wochen ist die Steuerfahndung angerückt, zusammen mit einem Haufen Richtern, und seitdem ist die Kacke am Dampfen. Jedenfalls soll Arturo abgeschoben werden.«
    »Und was juckt uns das?«
    »Er ist Estebans bester Brenner. Wenn hier eine Flasche Rum mit Arturos Initialen im Angebot ist, zahlst du das Doppelte.«
    »Und wann soll er abgeschoben werden?«
    »In ungefähr zwei Stunden.«
    Joe zog den Hut tief in die Stirn und ließ sich tiefer in den Sitz sinken. Die lange Zugfahrt, die Hitze, die tausend Dinge, die ihm im Kopf herumgingen, der nervtötende Anblick reicher weißer Leute in ihren teuren weißen Klamotten – all das machte ihn plötzlich hundemüde. »Weck mich, wenn wir da sind«, sagte er.
    Nachdem sie mit dem Richter gesprochen hatten, statteten sie Chief Irving Figgis vom Tampa Police Department einen Höflichkeitsbesuch ab.
    Das Polizeipräsidium befand sich an der Ecke Florida und Jackson; inzwischen war Joe mit den Örtlichkeiten vertraut genug, um zu erkennen, dass er hier jeden Tag auf dem Weg vom Hotel nach Ybor vorbeikommen würde. In dieser Hinsicht waren die Cops wie Nonnen – stets erinnerten sie einen daran, dass man unter Beobachtung stand.
    »Er hat gefragt, ob du nicht auf einen Sprung vorbeikommen könntest«, erklärte Dion, als sie die Treppe im Präsidium erklommen. »Damit er dich nicht extra aufsuchen muss.«
    »Wie ist er denn so?«
    »Er ist ein Bulle, also ein Arschloch«, sagte Dion. »Davon abgesehen ist er in Ordnung.«
    Figgis saß hinter seinem Schreibtisch, umgeben von lauter Fotos, die seine Frau, seinen Sohn und seine Tochter zeigten, alle drei rothaarig und außergewöhnlich hübsch; die Kinder hatten eine so makellose Haut, als seien sie von Engeln blank geschrubbt worden. Der Chief schüttelte Joe die Hand, sah ihm offen in die Augen und bat ihn, Platz zu nehmen. Irving Figgis war weder

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