In der Nacht (German Edition)
ich noch nie geteilt.« Er schüttelte den Kopf und schlug die Beine übereinander. »Aber bei uns Kubanern gilt ja generell das Motto ›Je heller, desto besser‹ – selbstredend auch für Haare, Haut und Augenfarbe.«
Da die Suarez von Spaniern und nicht von Afrikanern abstammten, hatten sie selbst recht helle Haut.
»Ja.« Esteban hatte Joes Gedanken erraten. »Meine Schwester und ich stammen aus komfortablen Verhältnissen. Was aber nicht heißt, dass wir mit der Gesellschaftsordnung auf unserer Insel einverstanden sind.«
Er trank einen weiteren Schluck Rum, und Joe tat es ihm nach.
»Wäre doch nett, wenn wir das hier auch im Norden verkaufen könnten.«
Ivelia gab ein kurzes, scharfes Lachen von sich. »Eines schönen Tages vielleicht, wenn ihre Regierung sie wieder wie Erwachsene behandelt.«
»Das hat keine Eile«, sagte Joe. »Sonst wären wir ja plötzlich arbeitslos.«
»Für meine Schwester und mich spielt das ohnehin keine Rolle«, sagte Esteban. »Außer diesem Restaurant betreiben wir noch zwei in Havanna und eins in Key West. Außerdem gehören uns eine Zuckerplantage in Cardenas und eine Kaffeeplantage in Marianao.«
»Wieso machen Sie dann überhaupt Geschäfte mit uns?«
Estebans Schultern zuckten unter seinem perfekt sitzendem Jackett. »Geld.«
»Sie meinen, noch mehr Geld.«
Esteban hob sein Glas. »Man kann seine Dollars eben auch anders investieren.« Mit weit ausholender Geste deutete er durch den Raum. »Das sind doch alles nur Dinge.«
»Sagte der Mann, der sowieso schon alles hatte«, sagte Dion, und Joe warf ihm einen warnenden Blick zu.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass an der einen Wand des Büros Dutzende von Schwarzweißfotografien hingen – Aufnahmen von Straßenszenen, Nachtclubfassaden und ein paar völlig heruntergekommenen Dörfern, Ansammlungen von halbverfallenen Hütten, die aussahen, als ob sie beim leisesten Lüftchen einstürzen würden.
Ivelia folgte seinem Blick. »Die Bilder hat mein Bruder gemacht.«
»Im Ernst?«, sagte Joe.
Esteban nickte. »Drüben auf Kuba. Ist mein Hobby.«
»Von wegen Hobby«, sagte seine Schwester spöttisch. »Die Fotos meines Bruders sind im TIME Magazine erschienen.«
Esteban tat das mit einem Schulterzucken ab.
»Tolle Bilder«, sagte Joe.
»Vielleicht knipse ich Sie eines Tages auch mal, Mr. Coughlin.«
»Daraus wird leider nichts.« Joe schüttelte den Kopf. »Da halte ich es wie die Indianer.«
Esteban lächelte trocken. »Tja, da wir gerade von armen Seelen reden – mit großem Bedauern habe ich vernommen, dass Señor Ormino gestern Nacht von uns gegangen ist.«
»Mit großem Bedauern?«, fragte Dion.
Esteban lachte so leise, dass es sich mehr wie ein Ausatmen anhörte. »Außerdem ist mir zu Ohren gekommen, dass ein Zug mit Gary L. Smith an Bord die Stadt verlassen hat. Seine Frau und seine puta maestra sollen auch dabei gewesen sein, die Damen allerdings in verschiedenen Waggons. Offenbar hatte er reichlich Koffer dabei, auch wenn es so aussah, als hätte er in aller Eile packen müssen.«
»Ein kleiner Tapetenwechsel eröffnet einem zuweilen ganz neue Perspektiven«, sagte Joe.
»Auch in Ihrem Fall?«, warf Ivelia ein. »Wollen Sie hier in Ybor ein neues Leben anfangen?«
»Ich bin hierhergekommen, um teuflisch guten Rum zu brennen. Aber momentan sehe ich da ziemlich schwarz, so wie es mit dem Nachschub läuft.«
»Wir kontrollieren eben auch nicht jedes Boot und jeden Zollbeamten.«
»Von wegen.«
»Und auf die Gezeiten haben wir erst recht keinen Einfluss.«
»Der Bootsverkehr nach Miami ist jedenfalls nicht beeinträchtigt worden.«
»Und was habe ich mit Miami zu schaffen?«
»Schon klar.« Joe nickte. »Das ist Nestor Famosas Domäne. Wie auch immer, meinen Geschäftspartnern hat Famosa gesagt, dass die See selten so ruhig war wie in diesem Sommer. Und soweit mir bekannt, erzählt Señor Famosa für gewöhnlich keine Märchen.«
»Was Sie jetzt mir unterstellen wollen.« Esteban schenkte ihnen allen noch einmal nach. »Sie bringen Señor Famosa doch nur ins Spiel, um mir durch die Blume zu sagen, dass er unsere Transportrouten übernimmt, wenn ich mich nicht mit Ihnen einigen kann.«
Joe nippte an seinem Glas. »Ich habe Famosa nur erwähnt – du liebe Güte, das ist ja ein Traum von einem Rum –, um zu unterstreichen, dass die See in diesem Sommer bislang ruhig war. Außergewöhnlich ruhig, wie mir zugetragen wurde. Ich spreche nicht mit gespaltener Zunge, Señor Suarez, und genauso
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