In der Nacht (German Edition)
»Das« – er sah sich abermals um – »ist wirklich zu viel des Guten.«
Er drückte seine Zigarette aus und ging.
Außerhalb von Ybor waren Menschen anderer Hautfarbe und Kulturen in Tampa strikt unerwünscht. Dion zeigte Joe ein paar Läden oberhalb der Twenty-Fourth, deren Inhaber ihre Einstellungen deutlich zum Ausdruck brachten. KEINE HUNDE ODER LATINOS stand auf einem Holzschild an einem Lebensmittelgeschäft in der Nineteenth Avenue, und am Eingang einer Apotheke in der Columbus Street stand links KEINE LATINOS und rechts KEINE ITAKER .
Joe sah Dion an. »Und damit bist du einverstanden?«
»Natürlich nicht, aber was will man da machen?«
Joe nahm einen Schluck aus Dions Flachmann. »Hier lassen sich doch bestimmt ein paar Steine finden.«
Es hatte zu regnen begonnen, aber es kühlte trotzdem kein bisschen ab. Hier unten fühlte sich der Regen eher wie Schweiß an. Es war kurz vor Mitternacht, doch trotzdem schien es nur heißer zu werden, und die schwüle Luft hüllte sie ein wie feuchte Wolle. Joe setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor im Leerlauf tuckern, während Dion beide Fensterscheiben der Apotheke einschmiss. Anschließend fuhren sie nach Ybor zurück. Dion erklärte Joe, dass die Italiener zwischen Fifteenth und Twenty-Third wohnten, die hellhäutigen Latinos zwischen Tenth und Fifteenth und die dunkelhäutigen unterhalb der Tenth, wo sich auch die meisten Zigarrenfabriken befanden.
Am Ende eines Feldwegs, der hinter der Vayo Cigar Factory verlief und in ein Dickicht von Mangroven und Zypressen mündete, fanden sie eine Kneipe, eigentlich kaum mehr als eine Bretterbude auf Pfählen, die auf einen Sumpf hinausging. Über dem Schuppen, den billigen Holztischen vor dem Eingang und der rückwärtigen Veranda hingen Moskitonetze, die in den Bäumen am Ufer befestigt worden waren.
Und drinnen ging die Post ab, aber wie. Solche Musik hatte Joe noch nie gehört – kubanische Rumba, schätzte er, aber schmutziger und gewagter, und was die Leute auf der Tanzfläche trieben, sah weit mehr nach Sex als nach Tanzen aus. Fast alle Anwesenden waren Farbige – die meisten schwarze Kubaner, auch wenn ein paar schwarze Amerikaner darunter waren –, und die Hellhäutigeren hatten rundere Gesichter und krauseres Haar als zum Beispiel Esteban oder Ivelia. Dion schien so gut wie jeden zu kennen. Die Bardame, eine ältere Frau, stellte unaufgefordert eine Flasche Rum und zwei Gläser auf den Tresen.
»Sind Sie der neue Boss?«, fragte sie Joe.
»Schätze schon«, sagte er. »Ich heiße Joe. Und Sie?«
»Phyllis.« Sie schüttelte ihm die Hand. »Das ist meine Kneipe.«
»Nett hier. Und wie heißt Ihr Laden?«
»Bei Phyllis.«
»Hätte ich mir eigentlich denken können.«
»Na, was hältst du von ihm?«, fragte Dion.
»Mir ist er zu hübsch.« Sie sah Joe an. »Dich muss mal einer durch die Mangel drehen.«
»Wir arbeiten dran.«
»Das merke ich.« Sie wandte sich dem nächsten Gast zu.
Sie nahmen die Flasche mit auf die Veranda, suchten sich einen Tisch und nahmen in zwei Schaukelstühlen Platz. Durch das Moskitonetz blickten sie hinaus auf den Sumpf; allmählich hörte es auf zu regnen, und die Libellen kehrten zurück. Joe hörte, wie sich irgendetwas Massiges im Unterholz bewegte. Und dann noch so etwas, diesmal unter der Veranda.
»Reptilien«, sagte Dion.
Joe nahm die Füße von der Veranda. »Was?«
»Alligatoren«, sagte Dion.
»Du willst mich verarschen.«
»Nee«, sagte Dion. »Eher beißen die dich in den Allerwertesten.«
Joe zog die Knie an. »Was, zum Teufel, machen wir dann hier?«
Dion hob die Schultern. »Man stolpert regelrecht über die Biester. Sobald du irgendwo ans Wasser kommst, warten sie schon, stieren mit ihren Glotzaugen aus der Brühe.« Er wackelte mit den Fingern und ließ seine Augen aus den Höhlen treten. »Nur für den Fall, dass irgendein blöder Yankee eine Runde schwimmen gehen will.«
Joe hörte, wie das Vieh unter ihm wegglitt und dann mit einem Platscher in den Mangroven abtauchte. Ihm fehlten die Worte.
Dion lachte leise. »Also, mach lieber einen großen Bogen ums kühle Nass.«
»Aber was für einen«, sagte Joe.
»So ist’s recht.«
Sie saßen auf der Veranda und nippten an ihren Drinks, während sich auch die letzten Regenwolken verzogen. Dann schien der Mond auf sie herab, und Joe konnte Dion so deutlich sehen, als hätte jemand einen Scheinwerfer angeknipst. Sein alter Freund starrte ihn wortlos an, und er starrte zurück. Eine
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