In der Oase
was kümmerte ihn dieser kleine Schmerz. Seine Gedanken kreisten um Tani, Kamose und um seinen voraussehbaren Tod. Als er sein Herz prüfte, empfand er keine Bitterkeit für das Mädchen, das er so lange geliebt hatte, ja, ihm ging auf, dass er das Gefühl übertrieben hatte, um das Grauen von Chemmenu und die darauf folgenden Tage der Verzweiflung zu überleben. Dennoch hegte er im tiefsten Herzen noch immer zärtliche Gefühle für sie, warme und beständige, und er wusste, die würden seinen Tod und das Wiegen seines Kas überdauern. Das war ewig, das war ihm nach dem Gesetz der Maat bestimmt.
Als das Zwielicht zur Nacht wurde und die Wüste verschwamm, meinte er verstohlene Gestalten in den Dünen auszumachen. Er überlegte, ob Kamose Späher bis ins Delta schicken würde. Die Geister verflüchtigten sich, als er sie genauer betrachtete, doch einer verfestigte sich und wurde zu einem Vorhutspäher, der gemächlich nahte und durch die Reihen der fröhlich flackernden Feuer ging, um Kethuna Bericht zu erstatten.
Früh am nächsten Morgen brachen sie nach Ta-sche auf. Jeder Soldat war ermahnt worden, seinen Wasserschlauch zu füllen und nur zu trinken, wenn gerastet wurde. Der Marsch barg keinerlei Gefahren, denn der Weg wurde während der Überschwemmung gern genommen, und es wartete reichlich Wasser auf sie. Dennoch murrte man am Ende des ersten Tages in den Reihen. Viele Soldaten waren zu erschöpft zum Essen, warfen sich lieber in den Sand und schliefen sofort ein. Viele hatten nicht gehorcht und ihren Wasserschlauch geleert, ehe sie die heiße Wüste aus ihrem Griff entließ.
Als sie am zweiten Abend ihr Lager aufschlugen, waren sie vernünftiger geworden, doch Ramose sah die Blasen an den Füßen und den Sonnenbrand auf nackten Schultern und Gesichtern und empfand gereizte Verachtung. Apophis’ Generäle waren Schwachköpfe. Ihre Männer waren nicht in der Wüste gedrillt worden. Im Delta geboren und aufgewachsen oder frisch aus dem gemäßigten Klima von Rethennu, hatte sich ihre Ausbildung auf Scheinschlachten innerhalb von Auaris beschränkt, und sie waren zu verweichlicht, als dass sie heißen Sand und gleißende Sonne aushalten konnten.
Er selbst war auch müde. Seine Muskeln schmerzten von dem Marsch, aber das war auch alles. Der Soldat, an dem er festgebunden war, hatte auch nicht viel gelitten, doch er beklagte sich über leichte Kopfschmerzen und Frösteln, als einer der Armeeärzte mit Salben durch die Reihen ging. Als der Arzt fort war, sprach der Mann einen Offizier an und bat, wenigstens während des Tages von Ramose losgebunden zu werden, doch als der Offizier aus dem Zelt des Generals zurückkam, sagte er, Kethuna hätte seine Bitte abgeschlagen. »Wenigstens einmal könnte man dich an jemand anders binden und mir eine kleine Pause gönnen«, sagte der Soldat enttäuscht. »Hoffentlich vergessen sie nicht, mich loszuschneiden, wenn ich beide Arme für meine Axt brauche.«
Bald nach Sonnenaufgang, als Auaris sieben Tage hinter ihnen lag, tauchte Ta-sche am Horizont auf, doch erst am Spätnachmittag erreichten sie die große Oase. Mittlerweile verließen die Soldaten schon die Marschordnung, ohne auf Erlaubnis zu warten, und rannten, ohne auf die Befehle ihrer Hauptleute zu hören, auf das zwischen Palmenhainen schimmernde Wasser zu. Ramose sah sie laufen und freute sich insgeheim. Er war zwar auch erhitzt und durstig, doch er ging gelassen, während sein Soldat neben ihm herstolperte.
Das Heer blieb den folgenden Tag und die folgende Nacht in Ta-sche, man überprüfte die Ausrüstung und gönnte den Männern eine kurze Ruhepause. Sie schwammen, aßen und schliefen mit neuer Energie und wiedergewonnener guter Laune, doch ihre Verletzungen konnten in der kurzen Zeit nicht abheilen, und obwohl sie das nächste Stück Marsch frohen Mutes angingen, machten sie die unbarmherzige Erde unter Füßen, die bereits Blasen hatten, und die Backofenhitze auf sich schälender Haut schon bald zu einem elenden Haufen.
Ramose stellte fest, dass er immer ruhiger wurde, je mehr Meilen er hinter sich brachte. Das Leben in der Wüste war ein stilles Leben. Während er jeden heißen Atemzug, jedes Sandkorn an seinen Waden, jeden Schweißtropfen, der ihm das Rückgrat hinunterlief, wahrnahm, staunte er über das Geheimnis seines Lebens, über die Erinnerungen, die allein ihm gehörten. Der Marsch durch die Wüste würde sein letzter sein, ehe sich die Tore des Gerichtssaals vor ihm öffneten. Er würde anders
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