In der Oase
enden als jeder, zu dem er bislang aufgebrochen war, und dennoch fürchtete er sich nicht. Ich werde nicht erleben, wie Kamose siegt und in Waset gekrönt wird, dachte er gleichmütig. Ich werde nie mehr meine Mutter begrüßen, es sei denn, neben meinem Vater stehend. Ich werde nie mehr Tani nackt in den Armen halten und unsere Sprösslinge gesund im Garten des Anwesens heranwachsen sehen, das meins hätte sein können. Und trotzdem bin ich zufrieden. Ich habe geliebt. Ich bin ein Mann von Ehre geblieben. Ich habe mich im Angesicht von Göttern und Menschen bewiesen. Wird die Wüste, dieser einmalig fruchtlose und verzauberte Ort, meinen Leib bewahren, damit mich die Götter finden? Ich kann nur darum beten.
Die vierte Nacht nach dem Aufbruch in Ta-sche verbrachte das Heer in Kampfbereitschaft. Die Oase Uah-ta-Meh war nicht mehr fern, eine drohende, große Schwärze vor einem sternklaren Himmel. Der General hatte weitergeben lassen, dass seine Späher dort keinerlei Leben entdeckt hätten, doch die hatten sich aus Angst, entdeckt zu werden, nicht sehr nahe herangewagt. Wie hätte man auch schon das Nahen von sechzigtausend Mann verbergen können? Die Fußsoldaten bildeten jetzt Kampfeinheiten, jede Division hinter ihrer Schwadron von fünfundzwanzig Streitwagen und davor der Standartenträger.
Die Männer schliefen unruhig und in Marschformation. Ramose tat kein Auge zu. Er wusste, dass Kamose und seine Truppen fort waren, dass Kethuna in der Oase keinen einzigen Dorfbewohner finden würde und einen weiteren langen Marsch durch den erbarmungslosen Sand machen musste, dieses Mal in Richtung Nil. Seine Männer hatten sich Mut für den morgigen Kampf gemacht. Wenn er nicht kam, würde die Enttäuschung zusammen mit der Aussicht auf noch mehr Hitze und Schmerzen ihren Kampfgeist schmälern. Kamose und Paheri jedoch würden ausgeruht und begierig auf die entmutigt Eintreffenden warten. Ob ich dann wohl noch am Leben bin?, dachte Ramose. Wohl kaum. Kethuna wird meinen Tod befehlen, wenn er die Oase leer vorfindet. Wenigstens wird man mir dann endlich die Fesseln abnehmen!
Zehntes Kapitel
Die Männer wurden im Morgengrauen geweckt und bekamen zu essen und zu trinken. Das geschah still, denn jeder war mit sich selbst beschäftigt, als die Schlacht näher rückte. Etliche beteten. Andere tasteten nach Amuletten oder Talismanen, während sie den Rest ihrer Ration verstauten und die Sandalen fester schnürten.
Ein Offizier tauchte auf, und zu Ramoses großer Erleichterung durchtrennte er den Riemen, der ihn an den Soldaten gefesselt hatte. Das Gefühl von Freiheit dauerte jedoch nicht lange. Man wies ihn knapp an, dem Mann in die vorderste Linie zu folgen, wo Kethuna, umgeben von seiner Schwadron, bereits hinter dem Wagenlenker auf seinem Streitwagen stand. Frühsonnenschein funkelte auf den Radspeichen, und die ruhelosen Pferdchen scharrten und warfen den Kopf mit den Federn zurück. Die mit Steinen übersäte Wüste warf schon jetzt ein grelles Licht zurück. Ramose beschattete die Augen, als er zum General hochblickte. Kethuna musterte ihn kurz und teilnahmslos. »Mein Befehl lautet, dich in die vordersten Linien meiner Truppen zu stellen«, sagte er. »Mehr als das hat man mir nicht befohlen. Falls du vom Feind erkannt wirst, ehe du fällst, umso besser für dich. Aber falls ich herausfinde, dass du den Einzig-Einen angelogen oder die Situation hier in der Wüste falsch dargestellt hast, soll ich dich auf der Stelle hinrichten. Geh neben den Pferden.« Statt einer Antwort verbeugte sich Ramose und nahm seinen Platz vor dem Streitwagen ein. Äußerlich war er gelassen, doch sein Hirn raste. Natürlich war niemand da, der sich ihnen zur Schlacht stellte. Es würde nicht zur Schlacht kommen. Die Oase würde leer sein. Würde Kethuna ihm die Schuld geben, oder würde er einfach annehmen, dass sie zu spät aufgebrochen waren, um Kamose abzufangen? Würde sich die Möglichkeit bieten, im ersten Augenblick des Durcheinanders in einem der Oasendörfer unterzutauchen? Der Marschbefehl kam, wurde durch die Reihen weitergegeben, und die Standarten wurden hochgehoben.
Der Streitwagen fing an zu rollen, Ramose ging beharrlich mit und atmete dabei den beruhigenden, gesunden Geruch von Pferdefleisch und Leder ein. Langsam nahm die Oase Gestalt an, wurde zu verschwommenen Flecken von Grün und planlosen Ansammlungen von Palmen vor einem blauen Himmel. Nichts bewegte sich, wo der Horizont in der Hitze flimmerte. Die Pferde stolperten
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