In der Oase
auf den scharfen Steinen, die schwarz und schimmernd unter ihren Hufen lagen. Der Wagenlenker redete beruhigend auf sie ein.
So marschierten sie vielleicht zwei Stunden, während die Oase größer wurde und immer mehr ins Blickfeld rückte. Still und beschaulich lag sie da. Keine Warnrufe hallten von den schlaffen Palmen. Keine Gestalten rannten und schlugen Alarm. Unter den Fußsoldaten hinter Ramose entstand ein einhelliges Gemurmel, und er hörte Kethuna fluchen und sagen: »Er ist weg. Die Oase ist leer.« Laut gab er den Befehl zum Anhalten, und Ramose ließ sich dankbar im Schatten der beiden schwitzenden Tiere zu Boden sinken. Fürs Erste schien ihn der General vergessen zu haben. Man rief einen Späher, und Ramose sah ihn auf dem steinigen Weg verschwinden, der zwischen hohen Dünen in das Dorf führte.
Jetzt wurde überall geredet, es herrschte fröhliche Aufregung, als die Männer merkten, dass es an diesem Morgen nicht zur Schlacht kommen würde, und ihre Hoffnungen bestätigten sich, als der Späher einige Zeit später zurückkehrte. Ramose, der noch immer neben dem Streitwagen hockte, musste bei seinen Worten lächeln. »Gebieter, ich bin länger dort gewesen, als ich sollte«, sagte der Späher außer Atem zu Kethuna. »Das Ganze ist ein Rätsel. Die Oase ist verlassen. Keine Soldaten und auch keine Dorfbewohner.«
»Was soll das heißen?«, blaffte Kethuna. Der Mann zögerte. Ramose konnte sehen, wie er von einem Fuß auf den anderen trat.
»Die Dorfbewohner sind fort«, wiederholte der Späher. »Die Hütten sind leer. Die Felder auch. Es gibt keine Tiere, nur ein paar Ziegen.« Der Späher und Ramose warteten. Das Schweigen zog sich in die Länge. Ramose konnte fast fühlen, wie der General nachdachte, während die Hauptleute um ihn herum unruhig wurden und flüsterten. Schließlich entließ Kethuna den Späher und rief nach Ramose.
»Entweder hat sich Kamose nach Het nefer Apu zurückgezogen oder er hockt hinter der Oase und wartet darauf, dass wir sie in Besitz nehmen und er uns umzingeln kann«, sagte er barsch. »Die Oase lässt sich nicht leicht verteidigen. Trotzdem haben sich unsere Späher gestern weit vorgewagt und von keinerlei Truppenbewegungen berichtet.« Er musterte Ramose mit feindseligem Blick. »Was von beidem ist es, Sohn des Teti?«
»Es hat keinen Zweck, mich zu fragen«, gab Ramose zurück. »Ich habe dem König die Wahrheit gesagt. Kamose und sein Heer waren hier, als ich aufgebrochen bin. Wenn er in den Wochen, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, seine Pläne geändert hat, woher soll ich das wissen?« Kethuna atmete schwer.
»Kamoses Späher können uns schon vor Tagen entdeckt und ihn gewarnt haben«, sagte er. »Ich muss wählen, entweder die Oase oder weiter zum Fluss.« Einer seiner Hauptleute machte den Mund auf.
»General, die Männer brauchen Wasser«, mahnte er. »Anderenfalls können sie unmöglich den Nil erreichen.«
»Offenkundig kommen wir zu spät, um Kamose noch zu erwischen«, sagte Kethuna langsam. »Trotzdem gefällt mir das hier nicht. Irgendetwas stimmt da nicht. Was entgeht mir, Ramose?«
»Du bist der General, nicht ich«, gab Ramose beherzt zurück, obwohl er spürte, dass der gelassene Blick eine sonderbare Drohung barg. »Wie ich schon gesagt habe, weiß ich nichts weiter über die Pläne meines Gebieters, als dass er Auaris erneut belagern will.«
»Falls er fort ist, warum hat er dann die Dorfbewohner mitgenommen?«, wollte ein anderer Offizier wissen. »Wozu braucht er die?«
Er braucht sie nicht, schoss es Ramose durch den Kopf. Aber er konnte sie nicht dalassen. Warum? Es spukt mir im Hinterkopf, aber ich komme einfach nicht darauf. O Kamose, du unerbittlicher und verschlagener Kamose, was hast du getan?
»Vielleicht hat er ihre Herden und Hirten mitgenommen, aber sie nicht«, überlegte Kethuna. »Vielleicht ist das Essen knapp gewesen, und die Dorfbewohner waren gezwungen, ihm zu folgen oder zu verhungern.« Er schüttelte verärgert den Kopf. »Das sind müßige Überlegungen«, sagte er gereizt. »Ich muss zu einem Entschluss kommen. Die Sonne steht fast im Zenit. Lasst die Männer hier rasten und essen. Wenn sie fertig sind, habe ich meine Entscheidung getroffen.« Seine Hauptleute verbeugten und verteilten sich, und er selbst stieg aus dem Streitwagen. »Pass auf den Mann da auf«, befahl er seinem Wagenlenker und zeigte dabei auf Ramose.
Ramose setzte sich wieder auf seinen Platz im Schatten. Der war jetzt kürzer und heller.
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