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In der Oase

In der Oase

Titel: In der Oase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Herz. Meine ganze Arbeit und Sorge, all die Opfer meiner Familie, die Toten, die Tränen, das Entsetzen, alles umsonst. Ich bin leer. Ich kann nicht mehr. Erlöse mich, mächtiger Amun. Gib mir ein wenig Luft, ich möchte alles beiseite schieben, wenn auch nur für eine kleine Weile. Deine göttliche Hand hat schwer auf meiner Schulter gelegen. Nimm sie fort, bitte, und verurteile mich nicht wegen meiner Schwäche. Ich habe alles getan, was ein Mensch nur tun kann.«
    Nach einer langen Zeit spürte er, wie sich allmählich Friede in ihm ausbreitete, seine Seele beruhigte und die Anspannung seines Körpers linderte. Du hast um deinen Tod gebetet, spottete eine innere Stimme. Willst du den wirklich, Kamose Tao? Aufgeben und vergessen werden? Was würde dein Vater dazu sagen? »Er würde mir raten, es noch einmal zu versuchen«, flüsterte Kamose. »Sei still. Ich kann jetzt, glaube ich, schlafen.« Er griff nach oben und holte sich ein Kissen auf den Fußboden, legte den Kopf darauf und eine Hand darunter und schloss die Augen. Er würde weitermachen, das wusste er, bis Ägypten gesäubert war oder die Götter ihn zu sich riefen. Er war ein Krieger, er hatte keine andere Wahl.
    Mit einem Ruck wachte er auf und sein Herz raste. Hatte da jemand seinen Namen gerufen? Hüfte und Schulter taten ihm weh, weil er auf dem harten Fußboden gelegen hatte. Doch irgendetwas stimmte nicht. Mit angespannten Sinnen prüfte er das Dunkel. Völlige Stille. Die Möbel seines Zimmers waren nichts als verschwommene Umrisse. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber er fühlte sich ausgeruht und hatte das Gefühl, dass die Morgendämmerung nicht mehr fern war. Unschlüssig und mit gerunzelter Stirn stand er da. Etwas stimmte nicht. Eine Kleinigkeit. Die Stille war vielleicht zu still. Die Dunkelheit zu dunkel.
    Dann wusste er Bescheid. Kein Licht von den Fackeln, die ständig draußen im Gang brannten, kroch unter seiner Tür durch. Und von den Getreuen, die dort postiert sein sollten, war kein Laut zu hören. Vorsichtig schob sich Kamose vorwärts und nur seine ausgestreckte Hand bewahrte ihn davor, in die Tür hineinzulaufen, die weit offen stand. Jemand ist in mein Zimmer gekommen, als ich geschlafen habe, dachte er. Jemand, der mich nicht gesehen hat und in solcher Eile wieder gegangen ist, dass er meine Tür nicht zugemacht hat. Ein Diener oder jemand von der Familie, sonst wäre er nicht an der Wache vorbeigekommen. Aber warum hatte man die Fackeln verlöschen lassen? Vorsichtig trat er auf den Flur und rief leise nach Behek, doch kein verschlafener Schnaufer antwortete ihm vom anderen Ende des langes Ganges.
    Er konnte jetzt besser sehen, denn die Tür, auf deren Schwelle der Hund sonst lag, ließ die kühle Nachtbrise ein, doch es brannten keine Fackeln in den Haltern. Aber auf dem Fußboden war etwas. Genau vor dem Viereck, durch das er die Umrisse der schwarzen Palmen sehen konnte, kauerte ein formloses Bündel und ihm gegenüber ein anderes. Der Soldat saß zusammengesunken und mit gespreizten Beinen an der Wand, der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Mit zwei Schritten war Kamose bei ihm. »Steh auf, Soldat«, sagte er zornig. »Schlafen im Dienst steht unter Strafe!« Doch als er den Fuß vom Boden hob, war der klebrig, und noch ehe er sprach, hatte er gewusst, dass der Mann tot war. Er hockte sich neben den Leichnam und untersuchte ihn sorgsam. Blut war aus der Kehle des Getreuen geströmt, war auf die Wand gespritzt und hatte sich unter ihm ausgebreitet, als er starb.
    Rasch zog sich Kamose in das Dunkel seines Zimmers zurück und blieb gleich hinter der Tür stehen, biss die Zähne zusammen, während die Gedanken in seinem Kopf rasten. Wie lange her? Wer sonst noch? Wie viele Mörder? Warum? Wo sind sie jetzt? Er zwang sich trotz seines furchtbaren Schrecks, trotz des überwältigenden Gefühls, dass alles umsonst gewesen war, klar zu denken. Später, sagte er fieberhaft. Ich denke später darüber nach, wie sich das Rad des Schicksals wieder einmal gedreht hat. Jetzt muss ich handeln. Waffen. Wo sind meine Waffen? Die hat Anchmahor nach der Rückkehr aus Wawat mitgenommen, um sie zu ersetzen. Gehört er auch dazu? Nein, er durfte den Mut nicht sinken lassen. Und so blickte er rasch den stillen Gang entlang, ging zur Leiche seines Getreuen, zog das Schwert des Mannes aus der Scheide und das Messer aus seinem Gurt und lief zu den Gemächern seines Bruders.
    Unterwegs begegnete ihm keine Menschenseele. Er hatte

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