In der Oase
Hals. Kamose verhielt sich ganz still, nur seine Finger verrieten seine Gefühle, als sie sich jäh im warmen Fell des Hundes vergruben.
»Er sieht mitgenommen aus«, sagte Aahotep leise zu Tetischeri. »Krank.«
»Er muss eine Weile nur essen und schlafen«, bestätigte Tetischeri. »Was ist?« Ihre letzten Worte galten einem Weeb-Priester, der herzugetreten war und geduldig neben ihr wartete.
»Mit Verlaub, Majestät«, sagte er, »aber man schickt mich, dir auszurichten, dass der Nil anfängt zu steigen. Isis weint.«
An diesem Abend war der Empfangssaal voll, in seinen Schatten lauerten keine trübseligen Erinnerungen an vergangene Zeiten mehr. Diener schlängelten sich mit hocherhobenen Weinkrügen oder Tabletts mit dampfenden Speisen durch die lärmende Menge. Musik vermischte sich mit Gesang, lieblich und stoßweise, während die angeregte Unterhaltung an-und abschwoll. Auf der Estrade saß die Familie gar prächtig in frisch gestärktem Leinen, mit Goldstaub auf den mit Kohl betonten Lidern und mit Henna auf dem Mund und nahm die Grüße aller entgegen, die sich unten nahten, sich bedankten und ihren Fußfall machten. Anchmahor saß bei ihnen, sein Sohn hinter ihm. Der Bürgermeister von Waset und andere einheimische Würdenträger, unter ihnen auch Amunmose, gaben sich die Ehre auf der Estrade. Ahmose und Aahmes-nofretari speisten und tranken eingehakt, plauderten Nebensächliches und berauschten sich am Klang der Stimme des anderen.
Doch Kamose schwieg sich aus. Mit seiner Mutter zur Linken und Tetischeri zur Rechten aß und trank er wie ein Verhungerter und starrte anscheinend unbeteiligt auf das fröhliche Treiben unter ihm. Behek schmiegte sich an ihn, und er hatte die Hand auf das graue Fell des Hundes gelegt, reichte ihm Bissen von der gebratenen Gans oder vom Gerstenbrot, das er in Knoblauchöl getunkt hatte.
Ägypten war, abgesehen von der Stadt Auaris, endlich wieder in den Händen seiner rechtmäßigen Herrscher. Die Maat würde erneut herrschen. Hier, in dem Lärm und dem Lachen, sah Tetischeri den Beweis für die Überlegenheit der Taos und für das Recht des Siegers, ihres Großsohns, den Horusthron zu besteigen. Der muss gereinigt werden, ehe Kamose sich darauf niederlässt, dachte sie, schloss die Augen und sog die wohlriechenden Düfte ein, die die abendliche Brise ihr mit jedem Stoß zuwehte. Alle Spuren des Setiu-Gestanks müssen entfernt werden, aber Abbilder der Setius werden in Gold auf dem Schemel des Königs eingelegt. Ja, das werden sie. Kamose muss heiraten, ob er will oder nicht, aber vielleicht warten wir damit bis zum nächsten Jahr, wenn Auaris gefallen ist. Alles kann warten, entschied sie. Nicht heute Abend.
Lange nachdem die Gäste selig berauscht zu ihren Booten getorkelt oder fortgetragen und die Lampen im Saal gelöscht worden waren, fand Tetischeri keinen Schlaf. Zu viel Wein und Aufregung forderten ihren Tribut, und so lag sie ruhelos und wach auf ihrem Lager und horchte auf die Schritte des Wachpostens vor ihrer Tür. Der Raum war stickig, die Luft stand, als wäre die Tageshitze in die vier Wände gekrochen. Ihr Schlafgewand kratzte und klebte, und ihr Kissen schien sich feindselig zusammenzuklumpen. Sie setzte sich auf, faltete die Hände und starrte ins Dunkel, dachte, wie hat sich doch die Atmosphäre des ganzen Hauses verändert, seitdem der Hausherr zurück ist, und gleich darauf ging ihr auf, dass sie jetzt ihren Oberbefehl abgeben konnte. Ich will auch versuchen, mich mit meinen Ansichten in militärischen Beratungen zurückzuhalten. Und da ist noch Aahotep. Wir haben uns in den vergangenen Monaten viel anvertraut, und ich habe entdeckt, dass sich unter ihrer Gelassenheit ähnlich wie bei mir viel Halsstarrigkeit und Unversöhnlichkeit verbergen. Man darf sie nicht von Unterhaltungen über das weitere Vorgehen ausschließen. Aber in Wahrheit möchte ich sie ausschließen. Ich möchte alle ausschließen. Tetischeri, was bist du doch für eine herrschsüchtige alte Frau!
Die Nachtluft war wunderbar kühl, als sie schließlich in den Garten ging. Sie hüllte sich fester in den Umhang und schlenderte langsam zum Fluss, machte einen Bogen um die im Dunkeln liegenden Eingangssäulen des Hauses, wo die Wachposten von ihren Schemeln aufstanden und ihre Verbeugung machten, dann schlug sie den kurzen Weg zur Bootstreppe ein. Das Pflaster war doch etwas kühl unter ihren bloßen Füßen und noch immer klebrig vom reinigenden Trankopfer, das Amunmose verspritzt
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