In der Oase
reckte sich und trat vor Apophis.
Ihm blieb nicht viel Zeit, seine Umgebung zu mustern, doch er sah sich um, als Nehmen seinen Namen rief. Der Raum war groß, gut beleuchtet und schön auf eine Art, die er nur geringschätzig als fremdländisch bezeichnen konnte. Wo die Wände nicht mit gewebten Matten in ebenden leuchtenden Farben und ebendem Muster behängt waren, die er bereits gesehen hatte, waren darauf Berge mit weißen Gipfeln gemalt, zu deren Füßen ein Meer plätscherte. Kleine Schiffe segelten auf den grünen Fluten, und unter ihnen schwammen unterschiedliche exotische Meereslebewesen.
Zu seiner Linken wurde das Landschaftsbild durch eine Tür mit dem gemalten Bild eines mächtigen Bullen mit geblähten Nüstern und goldenen Hörnern unterbrochen. Zu seiner Rechten machte ein Diener gerade eine weitere Tür zu, auf der ein anderer Meeresgott dargestellt war, Baal-Yam, so vermutete Ramose, in dessen Bart Schlieren hingen und dessen Beine in wirbelnder weißer Gischt verschwanden. Überall in den Ecken standen muschelförmige Lampen. Die Rückenlehne eines Stuhls zeigte die runden Kurven und die stumpfe Nase eines Delphins, und weitere Delphine aus Silber stützten die Schüsseln und Becher, die auf dem Tisch standen, neben dem Apophis mit übereinander geschlagenen Beinen und auf den Knien gefalteten Händen saß.
Einen kurzen, fürchterlichen Augenblick erschrak Ramose bis ins Mark. Das hier ist nicht unser Volk, dachte er. Trotz Kohl und Henna, trotz des erlesenen Leinens und der Titel können sie ihre völlige Fremdartigkeit nicht ganz verbergen. Diese Formen stammen aus Keftiu, diese fließenden Bilder haben nichts von den klaren und schlichten Linien ägyptischer Kunst. Warum habe ich das als Knabe nicht gesehen? Die Setius sind in die Insel Keftiu verliebt, das ist sonnenklar, aber haben sie noch mehr getan, als sich auf Handel mit Keftiu einzulassen? Gibt es auch eine Abmachung zu gegenseitiger Hilfe? Die Panik ließ nach, und Ramose trat vor und überlegte, ob er Apophis den ganzen Fußfall zugestehen sollte, doch dann fiel er schon mit ausgestreckten Armen auf die Knie und legte die Stirn auf den polierten Boden.
Er wartete. Dann erklang die vertraute, helle Stimme über seinem Kopf. »Steh auf, Ramose, Sohn des Teti«, sagte Apophis. »Du gestehst mir den vollen Fußfall zu, der mir als deinem König gebührt, aber vielleicht machst du dich über mich lustig. Ich bin müde und mit meiner Geduld fast am Ende. Warum bist du hier?« Ramose erhob sich, und zum ersten Mal seit vielen Jahren blickte er in das Gesicht des Feindes.
Die großen, dicht zusammenstehenden braunen Augen gaben den Blick nachdenklich zurück. Apophis saß zwar, doch Ramose merkte, dass er hoch gewachsen war, größer als die Wachposten, die Ramose bislang gesehen hatte. Die mittleren Jahre hatten ihn nicht gebeugt. Seine Schultern waren breit, seine Beine unter dem losen Leinengewand lang und wohlgeformt wie die einer Frau. Man hatte ihm bereits die Schminke abgewaschen. Eine hohe Stirn und kräftige schwarze Brauen gaben ihm den Anschein anmutigen Adels, doch dem widersprach leider ein Kinn, das zu schwach und spitz war, ein etwas zu dünner Hals und ein Mund, der trotz der Lachfältchen hängende Mundwinkel hatte, wenn er nichts sagte. Seine Wangen waren so hohl, dass das Licht im Raum von den Wangenknochen zurückgeworfen wurde. Das Haar war vollkommen unter einer weichen Wollmütze verborgen.
Ein junger Mann stand hinter ihm und stützte sich mit einem Arm auf Apophis’ Stuhl. Seine Ähnlichkeit mit Apophis war verblüffend. Die gleichen braunen Augen musterten Ramose mit neugieriger Feindseligkeit, und er reckte das gleiche spitze Kinn. Zu Apophis’ Füßen saß ein Schreiber, der ein Gähnen unterdrückte, mit dem Pinsel in der Hand und schreibbereiter Palette auf den Knien. Ein noch vollständig bekleideter und geschminkter Mann mit dem blauweißen Amtsstab in der Hand stand links von Apophis. Ein Wesir, das erkannte Ramose an den Farben des Stabes. Er umklammerte die Rolle, die Ramose den ganzen weiten Weg von der Oase hergebracht hatte. Vorsichtig wanderte Ramoses Blick von einem zum anderen, dann blickte er Apophis fest in die Augen. »Ich bin mit der Botschaft gekommen, die dein Wesir in der Hand hält«, antwortete er gelassen. Apophis machte eine abfällige, rasche Geste aus dem Handgelenk.
»Das ist keine Botschaft«, sagte er verächtlich, »sondern ein prahlerischer, beleidigender Redeschwall, der kein
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