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In der Oase

In der Oase

Titel: In der Oase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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zahlreichen Badesockeln. Auf den meisten standen geschmeidige, nackte Leiber. Stimmenlärm vermischte sich mit dem Plätschern des Wassers, Badediener eilten mit den Armen voller Tücher, Schachteln mit Natron und Salbkrügen hin und her. Aus den Kesseln auf dem Feuer stieg Dampf auf. Ramose atmete die feuchte, duftende Luft tief ein, musterte rasch die Menge in der Hoffnung, Tanis schmale, anmutige Gestalt zu sehen, aber natürlich war sie nicht da. Falls sie noch lebt, badet sie in den privaten Gemächern der königlichen Frauen, dachte er, warf die Decke ab und stieg auf einen der wenigen freien Badesockel. Dieses Badehaus ist für die gewöhnlichen Höflinge gedacht.
    Ramose kehrte mit gewaschenem und geschnittenem Haar und rasiertem Leib und besserer Laune in seinen Raum zurück. Der Junge hatte seine Kleidung durch frische ersetzt: makellos sauberes Lendentuch, gestärkter Schurz und Hemd, schlichte Sandalen aus gewebtem Flachs, aber er hatte Ramose seinen eigenen Gurt gelassen. Während sich Ramose ordentlich anzog, sagte er zu dem Soldaten: »Ich möchte beten. Gibt es in Auaris einen Thot-Schrein?«
    »Schon möglich«, antwortete der Mann kurz angebunden. »Aber mein Befehl lautet, du musst in diesem Raum bleiben, bis dich der Einzig-Eine ruft.«
    »Musst du mir dazu auf der Pelle sitzen?«, protestierte Ramose. Das Benehmen des Mannes brachte ihn langsam auf.
    »Nein. Ich kann draußen vor der Tür stehen.«
    »Dann tu das.«
    Als die Tür heftig zugeschlagen war, setzte sich Ramose mit einem Seufzer auf die Bettkante. Gedämpfte Geräusche drangen vom Flur zu ihm und wehten durch die Oberlichtfenster fort. Schritte, Fetzen einer unverständlichen Unterhaltung, jemand sang.
    Die dünnen Sonnenstrahlen waren über die gegenüberliegende Wand gekrochen und hatten fast schon den Fußboden erreicht, als sich die Tür wieder öffnete und ihn ein Arm herauswinkte. Ramose war mit gesenktem Kopf, gelangweilt und ungeduldig auf und ab geschritten, daher war er froh, dass er der stummen Aufforderung folgen konnte. Dieses Mal führte ihn ein anderer Soldat durch den Irrgarten von Fluren und Höfen.
    Höflinge schoben sich in Wolken von lieblichem Duft, mit klirrendem Geschmeide und flatterndem Leinen an ihnen vorbei, gefolgt von Dienern mit leblosen saphiräugigen Katzen oder Kosmetikkästen oder Schreiberpaletten. Viele trugen fest gewebte Umhänge mit Quasten in kunstvollen Mustern und leuchtenden Farben und andere knöchellange Röcke aus der gleichen dicken Wolle. Ramose erkannte darin die Setiu-Kleidermode, dachte aber abfällig, dass sie sich als Teppich auf einem nackten Fußboden besser ausmachte.
    Schließlich blieb der Soldat vor einer Flügeltür am Ende eines breiten Flurs mit grünen Fliesen stehen. Zu jeder Seite saß der Gott Seth, seine Granitaugen blickten starr den Weg entlang, den Ramose gekommen war. Die Hörner, die ihm inmitten steinerner Locken sprossen, hatten vergoldete Spitzen, und auf seiner schmalen Brust hingen reichlich Ketten aus Lapislazuli. Ramose, der ihn verabscheute, wandte den Blick ab, als Nehmen zwischen den Statuen aufstand und der Soldat einen Schritt zurückwich. Der Oberhofmeister lächelte. Heute schien er ausgeruhter zu sein. Sein makellos geschminktes Gesicht wirkte nicht mehr so erschöpft und hager. »Sei gegrüßt, Ramose«, sagte er freundlich. »Hoffentlich hast du gut geschlafen.« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern machte die Tür auf und winkte Ramose in den Raum.
    Ramose war geblendet, musste unter der Wucht des grellen, gleißenden Lichts blinzeln und war verunsichert. Doch dann merkte er, dass er an einem Ende eines großen Saals stand, dessen Decke sich sehr hoch wölbte und dessen glänzender Fußboden sich bis zu einer Estrade am anderen Ende erstreckte, die von einer Wand zur anderen reichte. Hinter der Estrade reihten sich Säulen, und zwischen ihnen strömte die Sonne herein und durchflutete den riesigen Raum mit ihrem prachtvollen Schein. Ramose konnte draußen Bäume sehen, die in der Brise zitterten, und hörte gedämpftes Vogelgezwitscher.
    Doch nichts davon hatte ihn zum Stehenbleiben gebracht, sondern ein Kloß in seinem Hals. Mitten auf der Estrade stand ein Stuhl, ein Thron, der Horusthron, ganz allein in all seiner Macht und Schönheit unter einem hohen Dach aus Goldstoff. Der Stab der Ewigkeit und der Schemel des Wohlstands auf seiner geschwungenen Rückenlehne waren mit Anchs, den Symbolen des Lebens, befestigt, und die gefletschten

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