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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ein Gespräch verwickeln lassen. Nur einmal, als sie gerade am Rand des Rollfelds standen und Limonade aus dem Getränkeautomaten im Hangar tranken, hatte er sich zu einer spontanen Bemerkung hinreißen lassen. Er hatte in die Sonne geblinzelt, die ihren Zenit bereits überschritten hatte, und gesagt: »Wenn sie meine Frau wäre, hätte ich auch ganz schön Muffensausen.«
    Dann hatte er seine leere Limodose in den Abfalleimer geworfen und war zum Jet zurückgegangen.
    Nach der Landung in Lindbergh Field übernahm Jack das Steuer des Mietwagens, und sie fuhren über die Interstate 5 nach Norden in Richtung La Jolla. Gordon sprach fast kein Wort, er schaute einfach nur aus dem Fenster. Jack hatte immer schon vermutet, dass Gordon mehr Maschine als Mensch war, und jetzt stellte er sich vor, wie sein computergleiches Gehirn die vorüberziehende Landschaft registrierte, als handle es sich um irgendwelche Datenbits: HÜGEL. BRÜCKE. WOHNSIEDLUNG. Obwohl Gordon früher Astronaut gewesen war, kannte niemand im Korps ihn richtig gut. Bei gesellschaftlichen Anlässen ließ er sich stets pflichtschuldig blicken, stand aber immer abseits, ein stiller, menschenscheuer Gast; und er trank nie etwas Härteres als seine Lieblingslimonade Dr. Peppers. Er schien selbst keinerlei Probleme mit seiner Wortkargheit zu haben; für ihn war sie ein Teil seiner Persönlichkeit, den er akzeptierte wie seine grotesk abstehenden Ohren und seinen unvorteilhaften Haarschnitt. Wenn niemand Gordon Obie wirklich kannte, dann deshalb, weil er es nicht für nötig hielt, sein Innerstes zu öffnen.
    Deshalb hatte seine Bemerkung in El Paso Jack auch so überrascht:
Wenn sie meine Frau wäre, hätte ich auch ganz schön Muffensausen.
    Jack konnte sich nicht vorstellen, dass die Sphinx je Angst empfand, ebenso wenig wie er sich Gordon verheiratet vorstellen konnte. Soweit Jack wusste, war er Junggeselle.
    Der Nachmittagsnebel zog bereits von der See herein, als sie die kurvenreiche Küstenstraße von La Jolla entlangfuhren. Fast hätten sie die Einfahrt von SeaScience verpasst; die Abzweigung war nur mit einem kleinen Schild gekennzeichnet, und die Seitenstraße schien lediglich zu einem Eukalyptuswäldchen zu führen. Erst nachdem sie ihr einen knappen Kilometer gefolgt waren, erblickten sie das Gebäude – einen unwirklich scheinenden, fast festungsartigen Komplex aus weißem Beton, der direkt am Meer lag.
    Eine Frau in einem weißen Laborkittel empfing sie an der Pforte. »Rebecca Gould«, stellte sie sich vor und gab ihnen die Hand. »Ich arbeite auf dem gleichen Flur wie Helen. Wir haben heute Morgen miteinander telefoniert.« Mit ihrem kurzen Haar und ihrer stämmigen Figur hätte Rebecca ebenso gut als Mann durchgehen können. Auch ihre tiefe Stimme ließ gewisse Zweifel zu.
    Sie fuhren mit dem Lift ins Untergeschoss. »Ich weiß wirklich nicht, warum Sie sich die Mühe gemacht haben, hierher zu kommen«, sagte Rebecca. »Wie ich Ihnen bereits am Telefon sagte, die Leute vom USAMRIID haben Helens Labor schon gründlich abgegrast.« Sie wies auf eine Tür. »Sie können selbst nachsehen, wie wenig sie übrig gelassen haben.«
    Jack und Gordon traten in das Labor und sahen sich bestürzt um. Die Schubladen der Aktenschränke waren herausgezogen und leer geräumt. Auch von Regalen und Arbeitsflächen waren alle Geräte verschwunden; weit und breit war kein einziger Reagenzglasständer zu sehen. Nur der Wandschmuck war noch an Ort und Stelle, zumeist gerahmte Reiseposter, verführerische Fotos von tropischen Stränden, Palmen und braun gebrannten Frauen, deren Haut in der Sonne glänzte.
    »An dem Tag, als sie hier auftauchten, war ich in meinem Labor am anderen Ende des Flurs. Ich hörte aufgeregtes Stimmengewirr und das Geräusch von zerbrechendem Glas. Ich schaute aus meiner Tür heraus und sah Männer, die Akten und Computer hinauskarrten. Sie haben alles mitgenommen. Die Brutschränke mit ihren Kulturen, die Behälter mit den Meerwasserproben, sogar die Frösche, die sie in dem Terrarium da drüben gehalten hat. Meine Assistenten haben versucht, die Plünderer aufzuhalten, aber man hat sie gleich zum Verhör abgeschleppt. Ich habe natürlich oben in Dr. Gabriels Büro angerufen.«
    »Gabriel?«
    »Palmer Gabriel. Unser Firmenchef. Er kam selbst herunter, zusammen mit einem Anwalt von SeaScience. Sie konnten aber auch nichts ausrichten. Die Soldaten sind einfach mit ihren großen Pappkartons hier reinspaziert und haben alles weggeschleppt. Sie

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