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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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dachte Emma. Ein Geschwür konnte aufbrechen oder zu bluten beginnen. Eine Pankreatitis konnte zu Schock und Kreislaufkollaps führen.
    Oder Kenichi konnte sich vollständig erholen, wenn seine Erkrankung nichts Schlimmeres war als ein heftiger Darminfekt.
    »Dr. Watson hat den Patienten untersucht«, sagte Ellis. »Wir müssen uns auf ihr Urteil verlassen. Wie ist der klinische Befund?«
    Emma dachte kurz nach. »Er hat kein akutes Abdomen – jedenfalls im Moment nicht. Aber die Lage könnte sich rapide verschlimmern.«
    »Sie sind sich also nicht sicher?«
    »Nein.«
    »Wenn Sie uns Bescheid geben, brauchen wir immer noch vierundzwanzig Stunden zum Auftanken.«
    Ein ganzer Tag Verzögerung zwischen einem eventuellen Notruf und dem Start des Shuttle, hinzu käme noch die Zeit für das Rendezvous. Würde sie ihn so lange am Leben halten können, falls sich Kenichis Zustand plötzlich extrem verschlechterte? Die Situation wurde allmählich zu einer Nervenprobe. Sie war Ärztin und keine Wahrsagerin. Sie hatte keinen Röntgenapparat zur Verfügung, keinen OP Die Resultate der Untersuchung und der Bluttests waren abnorm, aber unspezifisch. Wenn sie sich entschied, die Rückführung aufzuschieben, würde Kenichi vielleicht sterben. Ein verfrühter Notruf hingegen hätte zur Folge, dass Millionen von Dollar für einen unnötigen Start verpulvert wurden.
    So oder so – eine falsche Entscheidung würde das Ende ihrer NASA-Karriere bedeuten.
    Das war genau der Drahtseilakt, von dem sie Jack geschrieben hatte.
Wenn ich versage, erfährt es die ganze Welt. Sie wollen alle nur wissen, ob ich als Frau das Zeug dazu habe.
    Sie warf einen Blick auf den Computerausdruck mit Kenichis Blutwerten. Nichts, was sie dort sah, rechtfertigte eine Panikreaktion. Noch nicht.
    Sie sagte: »Flight, ich werde ihm weiter Infusionen geben und eine Magensonde zum Absaugen legen. Im Moment scheinen seine Werte stabil zu sein. Ich wüsste nur zu gern, was in seinem Bauch vor sich geht.«
    »Also ist Ihrer Meinung nach ein vorgezogener Shuttlestart noch nicht erforderlich?«
    Sie atmete einmal tief durch. »Nein. Noch nicht.«
    »Wir halten uns trotzdem bereit, die Lunte an die
Discovery
zu legen, sobald es nötig sein sollte.«
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar. Ich melde mich wieder und gebe Ihnen den neuesten medizinischen Befund durch.« Sie beendete das Gespräch und sah Griggs an. »Ich hoffe, ich habe die richtige Entscheidung getroffen.«
    »Machen Sie ihn einfach wieder gesund, okay?«
    Sie machte sich auf, um nach Kenichi zu sehen. Da er die ganze Nacht betreut werden musste, hatte sie ihn aus dem Wohnmodul in das amerikanische Labor verlegt, um die Nachtruhe der Crew nicht zu stören. Er lag in seinem gesicherten Schlafsack. Eine Infusionspumpe sorgte für eine stetige Zufuhr von Salzlösung. Kenichi war wach und hatte offensichtlich starke Beschwerden.
    Luther und Diana, die bei dem Patienten gewacht hatten, wirkten erleichtert, als sie Emma sahen. »Er hat wieder erbrochen«, sagte Diana.
    Emma schnallte ihre Füße fest, um genügend Halt zu haben, und setzte sich das Stethoskop auf. Vorsichtig legte sie die Membran auf Kenichis Bauch. Immer noch keine Darmgeräusche. Sein Verdauungstrakt arbeitete nicht mehr, und in seinem Magen würde sich Flüssigkeit ansammeln.
    »Kenichi«, sagte sie. »Ich werde einen Schlauch in Ihren Magen einführen. Das wird die Schmerzen lindern, und vielleicht hört dann auch das Erbrechen auf.«
    »Was – was für einen Schlauch?«
    »Eine Magensonde.« Sie öffnete den Wandschrank mit dem medizinischen Notfall-Set. Hier fand sich eine Fülle von unterschiedlichen Instrumenten und Medikamenten, eine Ausrüstung wie in einem modernen Rettungswagen. In dem Fach mit der Aufschrift »Atemwege« waren diverse Schläuche, Absaugvorrichtungen, Auffangbehälter sowie ein Laryngoskop. Sie riss die Verpackung der langen Magensonde auf. Es war ein dünner, zusammengerollter Schlauch aus biegsamem Plastik mit abgerundeter, perforierter Spitze.
    Kenichis blutrote Augen weiteten sich.
    »Ich bin so behutsam wie möglich«, sagte sie. »Sie können helfen, das Ganze zu beschleunigen, indem Sie einen Schluck Wasser trinken, wenn ich es Ihnen sage. Ich führe dieses Ende hier in Ihr Nasenloch ein. Der Schlauch dringt in den Rachenraum vor, und wenn Sie dann das Wasser schlucken, rutscht er in Ihren Magen weiter. So richtig unangenehm ist es nur am Anfang, wenn ich die Sonde einführe. Sobald sie einmal sitzt, dürfte sie Sie

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