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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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einzigen Piloten aus dem Verkehr. Casper ging im Zimmer auf und ab und dachte:
Nichts, was wir angefangen haben, hat je funktioniert.
Sie hatten ihre gesamten Ersparnisse investiert, ihren guten Ruf und die letzten dreizehn Jahre ihres Lebens. Es schien, als wollte Gott ihnen den guten Rat geben, endlich aufzugeben. Auszusteigen, bevor etwas
wirklich
Übles passierte.
    »Er war besoffen«, sagte Bridget.
    Casper blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Sie stand mit grimmig verschränkten Armen da, und ihr rotes Haar leuchtete wie der flammende Heiligenschein eines Würgeengels.
    »Die Ärzte haben’s mir gesagt«, fuhr sie fort. »Eins Komma neun Promille. Voll wie eine Haubitze. Das ist nicht unser übliches Pech. Unser lieber Sully hat mal wieder Scheiße gebaut. Mein einziger Trost ist, dass er in den nächsten sechs Wochen einen dicken Schlauch im Schwanz stecken hat.«
    Wortlos stapfte Casper aus dem Wartezimmer, stürmte den Flur entlang und stieß die Tür von Sullivans Krankenzimmer auf. »Du Trottel.«
    Sully blickte mit glasigen Morphiumaugen zu ihm auf. »Danke für deine Anteilnahme.«
    »Du verdienst keine. Drei Wochen bis zum Start, und du gehst hin und ziehst in der Wüste einen gottverdammten Chuck-Yeager-Stunt ab? Hättest dir auch gleich das Hirn einrennen können. Wir hätten den Unterschied weiß Gott nicht gemerkt.«
    Sully schloss die Augen. »Tut mir Leid.«
    »Dir tut’s immer nur Leid.«
    »Ich hab Mist gebaut. Ich weiß …«
    »Du hast ihnen einen bemannten Flug versprochen. Das war nicht meine Idee, es war
deine.
Jetzt können sie es kaum erwarten. Sie sind total begeistert. Wann haben wir es zuletzt geschafft, einen Investor zu begeistern? Das hätte die Sache wirklich rausreißen können. Wenn du bloß die Finger von der Flasche gelassen hättest …«
    »Ich hatte Schiss.«
    Sully hatte so leise gesprochen, dass Casper nicht sicher war, ob er ihn richtig verstanden hatte. »Was?«, fragte er.
    »Wegen des Starts. Ich hatte ein … ungutes Gefühl.«
    Ein ungutes Gefühl. Casper ließ sich langsam auf den Stuhl neben dem Bett sinken. Sein Zorn war wie weggeblasen. Kein Mann gibt bereitwillig zu, dass er Angst hat. Die Tatsache, dass Sully, der gewohnt war, das Schicksal herauszufordern, plötzlich eingestand, dass er sich vor etwas fürchtete, erschütterte ihn zutiefst. Und weckte schließlich sein Mitgefühl.
    »Ihr braucht mich doch nicht für den Flug«, sagte Sully.
    »Sie erwarten, dass ein Pilot in dieses Cockpit steigt.«
    »Ihr könntet genauso gut einen Affen auf meinen Platz setzen, die würden den Unterschied nie merken. Die
Apogee
braucht keinen Piloten, Cap. Alle Funktionen können vom Boden aus ferngesteuert werden.«
    Casper seufzte. Sie hatten jetzt keine Wahl mehr; es würde ein unbemannter Flug werden. Natürlich hatten sie einen triftigen Grund, Sully nicht in den Orbiter zu setzen, aber würden die Investoren das akzeptieren? Oder würden sie nicht vielmehr glauben, Apogee hätte den Schwanz eingezogen? Die Firma hätte nicht genug Vertrauen in ihr eigenes Produkt, um ein Menschenleben aufs Spiel zu setzen?
    »Ich hab wohl einfach die Nerven verloren«, sagte Sully leise. »Hab gestern Abend einfach angefangen zu trinken. Konnte nicht mehr aufhören …«
    Casper verstand, weshalb sein Partner Angst hatte – so wie er auch verstand, wie eine Niederlage unweigerlich zur Nächsten und wieder zur Nächsten führen kann, bis die einzige Gewissheit im Leben eines Mannes die Gewissheit des Scheiterns ist. Kein Wunder, dass Sully Schiss hatte; er hatte den Glauben an ihren Traum verloren. Den Glauben an Apogee.
    Vielleicht hatten sie das alle.
    Casper sagte: »Wir können diesen Flug immer noch durchziehen. Auch ohne einen Affen im Cockpit.«
    »Ja. Ihr könntet stattdessen Bridget raufschicken.«
    »Und wer würde dann ans Telefon gehen?«
    »Der Affe.«
    Die Männer lachten. Sie waren wie zwei alte Soldaten, die sich am Vorabend einer sicheren Niederlage gegenseitig ein wenig aufzumuntern versuchen.
    »Wir machen es also?«, fragte Sully »Wir ziehen den Start durch?«
    »Deshalb haben wir die Rakete schließlich gebaut.«
    »Also gut.« Sully atmete tief durch, und ein Anflug seines alten Draufgängertums zog über sein Gesicht. »Dann machen wir’s auch gleich richtig. Presseerklärung an alle Nachrichtenagenturen. Die Mutter aller Zeltpartys, mit Champagner und allem Drum und Dran. Scheiß drauf, ladet ruhig auch meinen heiligen Bruder und seine ganzen NASA-Kumpel

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