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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Baedecker gibt mit dem rechten Pedal zu, überkompensiert und veranlaßt den Heckrotor, den Huey in die andere Richtung zu stoßen. Er bringt die Drehung hundertachtzig Grad von seiner ursprünglichen Position zum Stillstand, aber in der Zwischenzeit hat der reduzierte Neigungswinkel die Maschine eineinhalb Meter nach unten gezogen, dann zwei, und Baedekker zieht den Steuerknüppel viel zu weit zurück, bremst zehn Zentimeter über dem Boden und schnellt dann fünf Meter in die Höhe, als die Steuerungen reagieren.
    Baedecker läßt den Huey auf drei Meter zurücksinken und arbeitet wie ein Besessener an Schubdrossel, Steuerknüppel, Rotorblattverstellung und Pedalen, um einen simplen Schwebeflug zu bewerkstelligen. Als er gerade denkt, er hätte es geschafft, schaut er nach links und sieht, daß er wie auf Eisschienen ohne Reibungswiderstand nach links über den kalten Boden gleitet, konstant und unerbittlich auf Kinks Scheune zu. Er tritt so heftig auf die Pedale, daß die schwere Maschine in einer schlingernden, kippenden Drehung herumgerissen wird, schiebt den Knüppel nach vorn und hastig wieder zurück, und zwingt den Huey zu einer unschönen, ruckartigen Landung, bei der er zweimal eineinhalb Meter abprallt, bevor er sich mitten auf dem Hof zitternd auf den Kufen niederläßt.
    Baedecker streicht sich mit dem Handrücken über die Stirn und spürt Schweiß an Ohren und Hals hinabrinnen. Er läßt Steuerknüppel und Kollektivsteuerung los, lehnt sich zurück, und die Gurte bewegen sich mit ihm und halten ihn fest. Die Rotoren drehen sich weiter sinnlos.
    »Okay«, sagt Baedecker leise, »Ich könnte hier etwas Hilfe gebrauchen, Amigo.«
    Versuch den Atem anzuhalten, Dummkopf. Es ist Daves Stimme über den ausgeschalteten Bordfunk, durch Baedecker stumme Kopfhörer. Es ist Dave Stimme in seinem Kopf.
    Baedecker entspannt sich, läßt die Luft langsam aus den Lungen entweichen, atmet nicht ein und läßt seinem Denken freien Lauf, während sich sein Körper an die vielen Übungsstunden vor siebzehn Jahren erinnert. Er hält immer noch mühelos den Atem an, während er die Rotorblattverstellung hoch und den Steuerknüppel behutsam nach hinten zieht und Schubdrossel und Pedale bedient, als er steigt und mühelos drei Meter über dem Boden schwebt. Dann erst holt er vorsichtig Luft. Das Schweben geht einfach vonstatten, problemlos, als würde er in einem kleinen Boot auf einem ruhigen See sitzen. Baedecker schwenkt den Huey herum, drückt den Bug nach unten, damit er schneller wird und beginnt eine lange, steigende Schleife, die ihn in einer Höhe von sechshundert Metern wieder über Lonerock zurückbringen wird.
    Es ist noch nicht dunkel, die Sonne noch nicht untergegangen, sie läßt sich sogar gerade zum ersten Mal an diesem Tag unter den Wolken sehen, aber Baedecker tastet an der Kollektivsteuerung nach dem Schalter und schaltet das Landelicht mehrmals ein und aus. Unter ihm bleibt die dunkle Kuppel auf dem Schulhaus dunkel. Baedecker geht auf siebenhundertfünfzig Meter und richtet die Schnauze des Huey nach Süd-Südwest aus.
    Bei einhundert Knoten wird die Reise für Baedecker nicht länger als fünfzehn Minuten dauern. Die untergehende Sonne scheint ihm direkt in die Augen. Er klappt das Helmvisier herunter, aber auf diese Weise ist die Sicht zu dunkel, daher schiebt er es wieder hoch und kneift die Augen zusammen. Mount Hood erstrahlt im Westen in einer goldenen Korona, und jetzt erstrahlen selbst die Unterseiten der Wolken in rosa und gelben Farbtönen, als würden sie die Farben freigeben, die sie die ganze Woche absorbiert haben.
    Baedecker sinkt auf neunzig Meter, als der John Day River hinter ihm zurückbleibt. Er lächelt. Er kann fast Daves Stimme hören. »Du machst die älteste Art von Orientierungsflug, Junge. ›Ich folge den Straßen.‹« Er verpaßt die Straße zum Ashram beinahe, weil er eine Viehherde im Süden beobachtet, aber dann schwenkt er gemächlich nach rechts und spürt jetzt, wie die Maschine mit ihm arbeitet und er mit ihr. Er schaut nach rechts, zum Fenster hinaus, fast senkrecht nach unten zu den Beifußsträuchern, Schneeflächen und kleinen Pinien, die lange Schatten über das ausgetrocknete Bachbett werfen.
    Er fliegt in einer Höhe von fünfzig Metern über die Straßensperre hinweg, sieht zwei Männer aus der Hütte kommen und widersteht dem Impuls, mit hundertzwanzig Knoten und den Kufen zweieinhalb Meter über dem Boden auf sie zuzurasen. Deshalb ist er nicht

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