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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Nutabdeckungen.« Er holte größere Teile heraus. »Tragflächengestänge, Bugplatten, Klammern, Querstrebe, Steuergestänge.« Er tätschelte das zusammengelegte Dacron. »Segel.«
    »Wir sollten zurück«, sagte Gavin.
    »Nur noch einen Moment«, sagte Baedecker.
    Lude hatte die langen Aluminiumröhren an ihrem Apex miteinander verbunden und klappte sie in einem Winkel von hundert Grad aus. Orangeweißer DacronStoff entfaltete sich wie Schmetterlingsflügel in der Sonne. Er brauchte nur wenige Minuten, bis er eine vertikale Stange und ein Kreuz festgeschraubt hatte. Danach befaßte er sich mit den Kabeln, die die Einzelteile miteinander verbanden. »Helfen Sie mir, Mann, ja?« Er sagte es zu Baedecker.
    Baedecker nahm die Werkzeuge und folgte den Anweisungen des jungen Mannes, sicherte Bolzen, befestigte Flugdrähte am Lenkgestänge, drehte Schrauben fest. Lude blies Taschen unter der Leitkante der Tragflächen auf, und da bemerkte Baedecker zum ersten Mal, daß sich der Radsturz dort justieren ließ. Da er dreißig Jahre lang geflogen war, konnte er die elegante Einfachheit des Rogallo bewundern: es war, als wäre die Essenz bemannten Fluges in diese wenigen Meter Stahl, Aluminium und Dacron destilliert worden. Als sie fertig waren, überprüfte Lude sämtliche Verbindungen und Justierungen Baedeckers, und dann stand der Hanggleiter da wie ein buntes, zu groß geratenes Insekt, das bereit war, ins All zu springen. Baedecker stellte erschrocken fest, wie groß der Gleiter war, drei Meter sechzig von Bugplatte bis Kiel, acht Meter Flügelspannweite.
    Gavin klopfte die Pfeife auf dem Stein aus. »Wo ist Ihr Helm?«
    »Maria hat den Helm«, sagte Lude. Er sah Gavin an, dann Baedecker. Plötzlich lachte er. »He, Mann, Sie verstehen nicht. Ich fliege nicht. Ich baue sie nur zusammen, modifiziere sie und zeige, wie. Maria wird ihn fliegen.«
    Nun war Gavin derjenige, der lachte. »Heute nicht«, sagte er. »Sie ist mit runter zu unserem Lager gegangen. Sie ist kaum in der Verfassung zu gehen, geschweige denn zu fliegen.«
    »Quatsch, Mann«, sagte Lude, »sie folgt dicht hinter mir.«
    Baedecker schüttelte den Kopf. »Unterkühlung«, sagte er. »Maggie hat sie mit nach unten genommen.«
    Lude sprang auf und lief zur südwestlichen Ecke des Gipfels. Als er die beiden Gestalten erblickte, die neunhundert Meter tiefer gerade den Grat verließen, hielt er sich mit beiden Händen den Kopf. »Verdammt, das kann ich nicht glauben.« Er setzte sich niedergeschlagen, und das lange Haar fiel ihm ins Gesicht. Dann gab er Geräusche von sich, die Baedecker zuerst als Schluchzen interpretierte; dann stellte er fest, daß der Mann lachte.
    »Fünfzehn beschissene Meilen mit diesem Ding auf dem Rücken«, sagte er. »Bis hier rauf, und jetzt ist es vorbei.«
    »Macht Ihre Filmpläne zunichte«, sagte Gavin.
    »Scheiß auf den Film«, sagte Lude. »Es vermasselt die Feier.«
    »Feier?« sagte Gavin. »Was für eine Feier?«
    »Kommen Sie hierher«, sagte Lude, stand auf und drehte sich nach Westen. Er führte Gavin und Baedecker an den Rand des Hangs. »Die Feier von dem allem hier«, sagte Lude und beschrieb mit dem rechten Arm einen Bogen, der Gipfel, Hochebene und Himmel einschloß.
    Gavin nickte. »Gottes Schöpfung ist wunderbar«, stimmte er zu. »Aber es ist keine närrische Tat nötig, um den Schöpfer oder sein Werk zu ehren.«
    Lude sah Gavin an und schüttelte langsam den Kopf.
    »Nein, Mann, Sie kapieren nicht«, sagte er. »Das ist nicht das Ding von irgend jemand. Es ist einfach. Und wir sind ein Teil davon. Das verdient eine Feier, klar?«
    Nun schüttelte Gavin mitleidig den Kopf, wie gegenüber einem Kind. »Felsen und Luft und Schnee«, sagte er. »Für sich allein bedeutet das nichts.«
    Lude betrachtete den Ex-Astronauten eine ganze Weile, während Gavin den Rucksack schulterte. Schließlich lächelte er. Sein langes Haar wehte in der leichten Brise.
    »Ihr Denken ist echt total versaut, Mann, wissen Sie das?«
    »Komm mit, Dick«, sagte Gavin und wandte dem anderen den Rücken zu. »Gehen wir runter.«
    Baedecker ging zu dem Rogallo-Gleiter zurück, kroch unter die Leitkante und hob die Gurte. »Helfen Sie mir«, sagte er.
    Lude lief zu ihm. »Sind Sie sicher, Mann?«
    »Helfen Sie mir«, sagte Baedecker. Ludes große Hände schlossen bereits Schnallen, zurrten Nylonseile fest und sicherten Taillenund Schultergurte. Schrittgurt und D-Ringe erinnerten Baedecker an die vielen Fallschirme, die er im Lauf der Jahre

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