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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Wimper, als Gavin zu ihm herumfuhr. »Es ist Insulin«, sagte Baedecker. Er drückte Maggie noch einmal die Hand und ging vor Gavin den schmalen Pfad hinauf.
     
    Lude hatte es bis fünfzehnhundert Meter vor den Gipfel geschafft, dann war er zusammengebrochen. Sie fanden ihn unter dem schweren Rucksack, die langen, in Segeltuch gewickelten Stangen trug er noch auf der Schulter. Seine braunen Augen standen offen, aber das Gesicht war aschfahl, und er atmete kurz und abgehackt.
    Baedecker und Gavin halfen ihm unter dem zerlegten Hanggleiter hervor, dann setzten die drei sich auf einen großen Stein neben einem sechshundert Meter tiefen Abgrund zur Hochwiese unten. Der Schatten des Uncompahgre reichte inzwischen weiter als eine Meile und berührte die steile Flanke des ›Matterhorns‹. Hohe Gipfel und schneebedeckte Plateaus waren sichtbar, soweit das Auge reichte. Baedecker sah den Hang hinab und konnte Maggies rotes Hemd erkennen. Die beiden Frauen schritten langsam, aber jede für sich, den Südgrat hinab.
    »Danke, Mann«, sagte Lude, und gab Gavin die Feldflasche zurück. »Das habe ich gebraucht. Gestern nacht vor dem Sturm ist uns das Wasser ausgegangen.«
    Baedecker gab ihm das Kästchen mit der Spritze.
    Der kleine Mann schüttelte den Kopf und strich sich mit einer zitternden Hand durch den Bart. »He, ja, danke«, sagte er leise. »Dumm. Habe vergessen, daß Maria das bei sich hatte. Und das bei dem ganzen Mist, den ich gestern gegessen habe.«
    Baedecker wandte sich ab, während die Spritze gesetzt wurde. Gavin sah auf die Uhr und sagte: »Acht Uhr dreiundvierzig. Könnte ich nicht alleine weiter? Du kannst unserem Freund runterhelfen, Dick, und ich stoße dann zu euch.«
    Baedecker zögerte, aber Lude lachte lauthals. Er packte das Spritzbesteck weg. »Auf gar keinen Fall, Mann. Ich hab' nicht fünfzehn Meilen hinter mich gebracht, um meine Sachen wieder einzupacken und einen Rückzieher zu machen. Nn-nnn.« Er rappelte sich auf und versuchte, das lange Bündel zu tragen. Er konnte es fünf Schritte den steilen Weg entlangziehen, dann sank er auf die Knie.
    »Hier«, sagte Baedecker, löste die segeltuchverpackten Stangen vom Rucksack und half Lude auf die Füße. »Sie behalten den Rucksack. Ich nehme das hier.« Baedecker ging bergauf und stellte überrascht fest, wie leicht die langen Stangen waren. Tom Gavin stieß einen Stoßseufzer aus und ging voraus.
    Der Hang wurde steiler, der Weg schmaler, das Gefühl des Ausgeliefertseins dicht unterhalb des Gipfels dramatischer, aber es war die Höhe, die Baedecker auf den letzten hundert Metern fast fertigmachte. Seine Lungen konnten nicht genügend Luft einatmen. Das Läuten in seinen Ohren hörte nicht auf. Baedecker spürte, wie sein Blick im dröhnenden Rhythmus seines Pulses verschwamm. Am Ende vergaß er alles außer der Aufgabe, einen Fuß weiter bergauf zu setzen als den anderen und dann das Gewicht gegen die schreckliche Schwerkraft zu verlagern, die ihn auf die felsige Bergflanke zu pressen drohte. Er gelangte auf ein breiteres flaches Stück und wäre beinahe über die steile Nordseite hinunter gestolpert, bevor ihm klar wurde, daß sie auf dem Gipfel angelangt waren. Er plumpste zu Boden und ließ die Stangen fallen, als Lude sich gerade neben ihm niedersinken ließ.
    Gavin setzte sich auf einen großen Stein in der Nähe. Er zog ein Bein an und rauchte eine Pfeife. Der Geruch des Tabaks hing beißend und klar in der kalten Luft.
    »Wir sollten hier oben nicht zuviel Zeit verbringen, Dick«, sagte er. »Wir müssen packen und zum Henson Creek.«
    Baedecker sagte nichts; er beobachtete Lude. Der kleine Mann war immer noch blaß, seine großen Hände zitterten, aber nun kroch er zu der langen Tragetasche und zog die Aluminiumstangen heraus. Er breitete ein quadratisches rotes Nylontuch aus, holte ein Werkzeugset aus dem Rucksack und legte die Teile zurecht.
    »Kabel«, sagte Lude. »Edelstahl. Geschweißt.« Baedecker ging zu ihm und sah zu, wie er weitere Verpackungen zutage förderte.
    »Schultergurt«, sagte Lude. »Kniehänger mit Velcro befestigt. Mit diesem Karabinerhaken anbringen.«
    Baedecker berührte den Metallring, spürte die Wärme der Sonne auf der Oberfläche, spürte den kälteren Stahl darunter.
    »Schrauben und Bolzen«, sagte Lude und legte Tütchen und Einzelteile gemäß einem vorgegebenen Plan auf den roten Stoff. Seine Stimme hatte den Tonfall einer Litanei angenommen. »Kabelspanner. Sättel, Bürsten, Griffzapfen,

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