In der Stille der Nacht - Thriller
nicht besonders bedrückt. Als sie davon sprach, grinste sie sogar ein klein bisschen.
»Hat sie Schimpfwörter benutzt?«
»Aleesha?« Meeshra sah rasch weg, schnaubte ein freudloses Lachen. »Na ja, die ist ein Teenager.«
Von anderen übernommene Meinungen, nachgeplapperte Kommentare. Meeshras eigene Teenagerzeit lag noch nicht lange zurück.
»Waren Sie auch mal so?«
Wieder das hohle Lachen. »Mein Dad hätte’s schon aus mir rausgeprügelt.«
»Und Aamir nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Und selbst wenn, ich glaube nicht, dass es was helfen würde. Jeans und T-Shirts. Nagellack.
Hält sich überhaupt nicht an die religiösen Vorschriften.«
»Eine Rebellin?«
»Nein, bloß stur.« Sie ärgerte sich, aber nicht über Aleesha, vielmehr schien sie aus Pflichtgefühl der Familie gegenüber, etwas an dem Mädchen aussetzen zu wollen.
»Wann hat sie aufgehört, traditionelle Kleidung zu tragen?«
Meeshra wurde verlegen. »Hat sie nie getan. Weiß nicht. Ich hab … weiß nicht.«
»Hat sie denn früher welche getragen?«
»Nein, weiß nicht.« Sie wollte Morrow nicht ansehen.
»Ist das eine Familie von Konvertiten?«
»Nein, aber sie waren nicht schon immer so, na ja, so religiös.«
»Ach so, verstehe, den Glauben haben sie erst in letzter Zeit wieder verstärkt praktiziert.«
»Ja, genau.«
Morrow machte sich eine Notiz, fuhr aber fort: »Was ist nach dem Schuss geschehen?«
»Dann, na ja, dann … Mo und Omar kamen zur Haustür rein.«
»Weil sie den Schuss gehört hatten?«
»Ja, ich hab gehört, wie sie da draußen am Fenster vorbei sind.« Sie deutete auf das Fenster neben dem Bett. »Sind da lang gerannt, da rum«, mit dem Finger zeichnete sie den Weg an der nackten Wand nach. »Und dann kamen sie zur Tür reingestürmt. Der Dicke, nicht Pat, der andere, brüllte sie an, ›du bist Robbie, nein, du bist Robbie‹ und dann hat er sich Dad geschnappt und ist mit ihm raus. Ich war die ganze Zeit im Bett, hab bloß bisschen was gesehen.«
Der Kopf des Babys knickte schläfrig um. Meeshra sah zu ihm runter, war jetzt ruhiger, ihre Finger legten sich um die perfekte Rundung seines Schädels.
»Also«, drängte Morrow weiter, »dann hatten Omar und Mo draußen im Wagen gewartet?«
»Haben sie das?« Meeshra sah auf.
»Na ja«, sagte Morrow, »sie werden ja wohl kaum erst genau in diesem Moment vorgefahren sein, oder?«
»Weiß nicht.«
»Was hat er gesagt, als sie gegangen sind, der Dicke?«
»Zwei Millionen bis morgen Abend. Hat er das Haus nicht gesehen? Zwei Millionen? Der spinnt.«
»Sonst noch was?«
»Die Polizei sollen wir nicht verständigen und, dass das die Rache für Afghanistan ist. Der hat sie echt nicht alle«, sie nickte raus in den Flur. »Die kommen aus Uganda, und ich komme aus scheiß Lancaster. Sie können sich gar nicht vorstellen, mit was für einer Kacke wir uns jetzt rumschlagen müssen, bloß wegen den scheiß Arabern.«
»Denken Sie, dass es das war? Dass es um religiösen Fanatismus ging?«
»Na, was denn sonst? Das ist, als würde man einen Afrikaner wegen dem Sklavenhandel entführen.«
Alex hatte einen Augenblick mit der Analogie zu kämpfen, bevor ihr aufging, dass der Vergleich hinkte. »Gut.« Sie stand auf. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Meeshra. Ich bin sicher, wir werden uns später noch einmal unterhalten, aber jetzt lasse ich sie und das Baby erst mal schlafen.«
Meeshra lehnte sich in die Kissen zurück, war zufrieden mit sich. »›Robbie‹, hat er gesagt. ›Rrrobbie‹, richtig wie’n Schotte.«
Es war ein Schlusswort, ein Satz zum Abschied, das keiner Erwiderung bedurfte, aber Alex konnte der Versuchung, Farbe zu bekennen, nicht widerstehen. »War das tatsächlich so?«, fragte sie spitz.
Beunruhigt wegen der Schärfe in Marrows Stimme blinzelte Meeshra.
5
Pat spürte einen kalten Luftzug im Nacken und wusste, dass Eddy beide Türen aufgerissen hatte.
»Hilf mir«, sagte Eddy mürrisch, packte beide Beine des alten Mannes und zog daran.
Pat stieg aus dem Wagen und ging außen herum zur Hintertür. Der alte Mann zitterte in seinem Schlafanzug und versuchte, auf allen vieren wieder zurückzukriechen, was seltsam aussah, weil Eddy ihn an den Fußgelenken festhielt.
Die schwammartige Sohle seiner Schuhe erschwerte es dem Mann, auf dem unebenen Boden gerade stehen zu bleiben. Pat sah ihn schwanken, betrachtete den Kissenbezug, unter dem sich ein Gesicht verbarg, suchte nach Anzeichen von Menschlichkeit und fand nichts. Der Bezug
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