In der Stille der Nacht - Thriller
Wampe hatte er.«
»Haben Sie auch sein Gesicht gesehen?«
»Der hatte eine Wollmütze auf, mit Sehschlitz.«
»Eine Skimütze?«
»Ja. Und er sagt so was wie ›Komm raus da‹ oder so, und ich meine: ›Ich kann nicht, ich hab gerade erst ein Baby bekommen‹, weil Sie wissen ja, dass man da nicht aufstehen soll, stimmt’s?« Alex erinnerte sich an das genaue Gegenteil. Sie erinnerte sich außerdem, dass sie die anderen Frauen um die Unverfrorenheit beneidet hatte, mit der diese so taten, als sei man nach einer Geburt am ganzen Körper gelähmt. Sie ließen sich von ihren Besuchern, dieses und jenes besorgen und ans Bett bringen, und kaum war die Besuchszeit zu
Ende, waren sie auf wundersame Weise genesen. »Der Typ sagt also ›Steh auf‹, ja? Und ich meine bloß ›Nee‹. Und dann hat sich Billal vor uns gestellt und gesagt: ›Komm schon, Alter, das reicht‹. Aber dann sagt der Typ zu dem anderen, der noch dabei war, brüllt ihn an, echt wütend: ›Hoch mit der Pistole, Pat.‹«
»Pat?«
»Ja, das war sein Name, Pat, und beide waren starr vor Schreck, als hätten die sich in die Hosen gemacht, weil er den Namen nicht hätte sagen dürfen.«
Alex hatte beim Durchqueren des Flurs Billals Akzent gehört. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte er St. Al’s besucht, die katholische Privatschule im Stadtzentrum, eine teure angesehene Einrichtung. Er besaß den selbstbewussten Charme eines Privatschülers und rollte sein R auf diese ganz bestimmte, typische Weise. Meeshra war eher gewöhnlich, sie benutzte Schimpfwörter, ohne darüber nachzudenken, von Grammatik hatte sie keine Ahnung und Gespräche gab sie wieder, als würde sie einem Mädchen an der Straßenecke von einer Prügelei auf dem Schulhof erzählen.
»Nur so aus Interesse, wie haben Sie Billal kennengelernt?«
»Bin mit meiner Familie hergefahren.«
»Um nach Glasgow zu ziehen?«
»Nein nein, das war alles vorher geplant. Eine arrangierte Ehe. Wir haben uns nur viermal gesehen, bevor wir geheiratet haben.«
»Oh, verstehe.«
Defensiv wandte sich Meeshra wieder ihrem Baby zu. »Das verstehen Sie nicht, Sie denken, das ist alles erzwungen und so …«
Alex unterbrach sie: »Das denke ich nicht.«
Meeshra sah sie an.
»Ich bin dafür. Besonders, wenn man auch noch bei den Schwiegereltern einzieht. Man wählt ja nicht nur einen Ehemann aus, oder?« Alex hatte sich oft überlegt, wen ihre Mutter für sie ausgesucht hätte und inwiefern ihr Leben dann anders verlaufen wäre. Das war ja das Gute an arrangierten Ehen, dachte sie, niemand war mehr selbst für seine ungewisse Zukunft verantwortlich.
Meeshra lächelte sie sanft an. »Genau.«
»Man sucht gleich eine ganze Familie. Da muss man wissen, ob man zusammenpasst, mehr als nur in einer Hinsicht.«
Ihr Gegenüber nickte: »Ganz genau«, und sah Alex mit schief gelegtem Kopf an, fragte sich, ob sie gerade veralbert wurde. Offenbar hielt sie Alex aber für aufrichtig und lächelte erneut, beinahe dankbar.
Alex blinzelte und kam noch einmal auf ihre Frage zurück. »Noch mal zurück zu dem, wo wir stehengeblieben waren, also, der Mann mit der Pistole sagt ›Pat‹ und beide erstarren vor Schreck. Was ist dann passiert?«
»Ja, also, er meinte so ›Pat‹ und die beiden erschrecken und dann, plötzlich meinte meine Schwiegermutter: so was wie: ›Was ist denn hier los?‹. Und der Dicke rennt den Flur entlang, ich hab ihn an meiner Tür hier vorbeirennen sehen«, sie zeigt durch die Tür hindurch auf den hinteren Teil des Hauses. »Und er hat meine Schwiegermutter und den Schwiegerpapa wieder hergebracht. Dann waren sie eine Weile still. Und dann hat dieser Pat Aleesha in die Hand geschossen.«
»Aus heiterem Himmel?«
»Ja.«
»Keine Drohungen oder Forderungen?«
»Nix.«
»Haben Sie gesehen, wie er abgedrückt hat?«
»Nein, ich hab was gehört, so was wie ein lautes ›Bamp!‹ und hab einen Blitz gesehen, und dann sagt Aleesha so: ›Du hast mir die Scheißhand abgeschossen!‹«
»Woher wussten Sie, dass es Pat war?«
»Weil der andere da an der Tür war und ich ihn gesehen hab.«
»Sie haben den Schuss gehört?«
»Ja. Und das Licht hab ich gesehen, weißes Licht, ein Blitz; und alle haben da rübergeguckt, und ich hab Blut an der Wand gesehen und hab schon gedacht, Aleesha wäre erschossen worden, aber dann hab ich gehört, wie sie gesagt hat: ›Du hast mir die Scheißhand abgeschossen.‹« Meeshra wirkte angesichts der Vorstellung, Aleesha sei angeschossen worden,
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