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In der Stille der Nacht - Thriller

In der Stille der Nacht - Thriller

Titel: In der Stille der Nacht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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durchgeschnitten, lagen dort auf einer Seite Zeitungspapier. Von einem Mann bereitgestellt. Er streckte die Hand danach aus und berührte die Dose mit den Fingerspitzen. Warm. Eigentlich durfte er sein Fasten am Ramadan nicht brechen, aber er wusste nicht, ob sie ihm später etwas bringen würden. Er konnte die Zeit ja wieder nachholen, es könnte ihm das Leben retten, und Aamir war siebzig, alt genug, um nicht mehr fasten zu müssen. Außerdem war hier niemand für den er ein Vorbild sein musste.
    Er nahm die Dose und zog den Kissenbezug wieder herunter, schloss sich in seinem kleinen weißen Zelt ein. Das Getränk schmeckte süß und intensiv. Gut. Er trank es aus und griff nach dem Brot, hob den Saum des Kissenbezugs weiter als er gedurft hätte, so weit, dass er die Wand neben dem Bett sah. Die Tapete war von der Fußleiste an abgezogen worden, aber auf halber Höhe war der Versuch abgebrochen worden. Die Ränder waren eingerissen.
    Seine Mutter, die hinter ihm kniete, hob den Kissensaum sanft mit beiden Händen und krempelte ihn bis zur Stirn hoch. Ein schmutziges Zimmer. Zerknitterte Zeitschriften
lagen auf dem Boden, Loaded, FHM, und auch Pornos, Escort, Fiesta. Sehr alte Ausgaben, Aamir erkannte die Titelbilder. Er hatte sie alle im Sortiment, heutzutage weniger als früher, weil so was aufgrund des Internets kaum noch verkauft wurde. Vor dem Fenster hingen Vorhänge, aber sie wirkten schmierig und waren nicht ganz zugezogen, sondern nur jeweils ein Stück vors Fenster gezerrt, wobei oben ein Spalt geblieben war, durch den der weiße Tag hereinströmte, seine Scheinwerfer auf den Staub richtete.
    Die Hand seiner Mutter berührte seinen Rücken, ihre Fingerspitzen drängten ihn unwiderstehlich: Geh, Ammy, sagte sie, sieh für mich nach, wo wir sind.
    Aamir sah auf die Tür des Zimmers, dann wieder zum Fenster, dann wieder zur Tür. Er zog sich den Kissenbezug vom Kopf und blieb still stehen, wartete darauf, dass sie hereingerannt kamen und ihn schlugen. Wenn sie Überwachungskameras in dem Raum hatten, würden sie es merken. Er wartete einen Augenblick lang, aber niemand kam.
    Geh schon, Ammy.
    Er sah sie an, ihre schlaffen Wangen, die unglaublich seidige Haut ihrer Unterarme, ihre langen Wimpern. Aleesha hatte ihre Wimpern geerbt.
    Er behielt die Tür im Auge, schwang seine Beine links vom Bett herunter, stand flink auf und hatte die Nase plötzlich nur noch zwei Zentimeter von dem grauen Vorhang entfernt. Er konnte auf die Straße draußen sehen. Sein Herz stampfte in seiner Brust, vor Angst wurde ihm der Nacken steif.
    »Eine Straße«, sagte er.
    Der völlig überwucherte Garten war von riesigen Heckensträuchern begrenzt, die einst gepflegt worden waren,
nun aber alles überragten, eine Einfahrt mit rissigem Beton und vom Wind geplättetem Gras. Es war ein kleiner Garten, wahrscheinlich eine Sozialwohnung. Überall lag Abfall im dunkelgrünen Gras: Plastikteile, sonnengebleichte Bierdosen, vom Regen zerfledderte Pappkartons. Auf der anderen Straßenseite direkt gegenüber standen Häuser, wahrscheinlich alle so wie dieses, doppelstöckige Sozialbauten mit schwarzen Schieferdächern und Panoramafenstern im Erdgeschoss. Eine jener sterbenden Sozialbausiedlungen, wie es sie in Glasgow gab.
    Erstaunt entdeckte er Berge über die Dächer der Häuser hinweg. Weder in Manchester noch in London gab es solche großen, stolzen Berge. Das waren schottische Berge, und er erkannte sie. Er blinzelte und sah noch einmal hin. Castlemilk. Die Wohnblocks, der Wasserturm, Cathkin Brae. Er schloss die Augen und versuchte, sich zu erinnern, dann öffnete er sie und sah, dass er Recht hatte. Sie befanden sich im Süden Glasgows, keinen ganzen Kilometer von zu Hause entfernt. Als sie ins Land gekommen waren, hatte sein Onkel hier in der Nähe gewohnt, in einem Fertighaus in Prospecthill. Er hatte immer in der Küche gestanden und die Aussicht bewundert. Mit Herzrasen begriff Aamir, dass er von hier aus nach Hause laufen oder mit dem 90er Bus fahren konnte. Wenn es sein musste, konnte er seinen Laden von hier aus sogar zu Fuß erreichen.
    »Ganz in der Nähe!«, sagte er triumphierend.
    Seine Mutter saß auf dem Bett, bedeckte ihren Mund und lachte leise, sie war glücklich, weil er es war.
    Aamir lächelte. Wenn sie jetzt hereinkommen und ihn erschießen würden, wenn sie beide kommen und ihn verprügeln würden, wäre es ihm egal, er hatte keine Angst mehr, sie
konnten ihm nichts anhaben, denn der Laden und die Regale mit den

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