Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Stille der Nacht - Thriller

In der Stille der Nacht - Thriller

Titel: In der Stille der Nacht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
Vom Netzwerk:
Recht. Er konnte es durch den Leinenstoff erkennen. Und da war eine Tür am Fuß des Bettes, sie war geschlossen, dort kamen die Männer herein, er erinnerte sich jetzt. Als er hustete, hörte er das Geräusch von den Wänden prallen und wusste, dass es ein kleiner Raum war. Das Schlafzimmer eines Mannes. Eine Frau würde nicht zulassen, dass es derart nach schmutzigem Haar und nach Füßen stank. Sie würde ein Fenster öffnen und ab und zu die Bettwäsche wechseln.
    Er zog den Kissenbezug am unteren Saum ein bisschen hoch, damit er die Bettwäsche sehen konnte. Er zog ihn wieder herunter. Ekelhaft. Er wollte es nicht sehen. Gelbe Flecken
dort, wo der Körper eines Mannes gelegen hatte, scharfkantige, tiefe Knitterfalten, ein entfernter Geruch nach Urin. Die Wäsche war seit Monaten nicht gewechselt worden.
    Das Ekelgefühl versetzte ihn in Panik, Schmutz versetzte ihn in Panik, dabei war es so wichtig, dass er ruhig blieb. Als kluger Mann in einem weltlichen Beruf war es Aamir gewohnt, seine Stimmung durch Willenskraft zu steuern und um wach zu bleiben, lenkte er sich mit Kopfrechnen ab oder machte geistig Inventur. Jetzt begann er sich durch einen gewöhnlichen Tag im Laden mit allen seinen Stammkunden zu denken, er begann in dem Moment, wenn er morgens um halb sieben die Tür aufschloss und arbeitete sich durch seine gesamte Schicht, erzählte seiner Mutter in Gedanken von den Kunden. Er dachte daran, wie die Leute rochen, die zu ihm in den Laden kamen, katalogisierte die Gerüche, ihre unterschiedlichen Probleme: Suff, Drogen, Geisteskrankheiten, Faulheit, Tiere, die nicht stubenrein waren und im Haus herumliefen.
    Es war neun Uhr dreißig morgens, plus minus vier bis sechs Minuten. Er hatte keine Uhr, aber er hatte die vergangenen fünfunddreißig Jahre in Läden gesessen, erst in dem seines Onkels und dann in seinem eigenen, hatte gewartet, dass Leute hereinkamen und so ein genaues Gespür für den Rhythmus der Zeit entwickelt. Jetzt wurde es ruhiger im Laden. Johnny kochte ihnen ungefähr um diese Zeit herum eine Tasse Tee, sie machten sich darauf gefasst, dass gleich die Schulkinder hereinstürmen und Schokolade und Chips kaufen würden. Er konnte sich an Johnnys Gesicht nicht erinnern, nur daran, dass er da war. Ruhig standen sie dort, Schulter an Schulter, er war ein Augenpaar, das sah, was er tat, hörte was er tat, den Tag mit ihm teilte.

    Aamir versteinerte, als sich die Tür am Fuß des Bettes öffnete und sich eine graue Gestalt in den Raum hereinbeugte.
    »Hunger?« Es war nicht die gepresste Stimme, sondern der andere. »Haben Sie Hung-er?«, wiederholte der Mann, als glaubte er, Aamir würde kein Englisch verstehen.
    »Ja«, sagte Aamir deutlich. »Danke. Ich wäre sehr froh, wenn ich etwas zu essen bekäme.« Er hatte redegewandt wirken wollen, doch er merkte, dass er klang, als sei Englisch nicht seine Muttersprache gewesen. Genau genommen hatte er vor Englisch bereits zwei andere Sprachen gesprochen.
    »Okay, hier.« Der Mann hielt ihm etwas entgegen. »Hier ist, äh, kein Toast, aber Brot. Und eine Dose Limo.«
    Er trat an die rechte Seite des Bettes, beugte sich herunter, stellte etwas mit einem leisen »Hier bitte!« auf den Boden und richtete sich wieder auf. Aamir hatte nach dem Saum des Kissenbezugs gegriffen und ihn ein wenig angehoben.
    »Ich mein’s ernst.« Sanft hielt der Mann seine Hand fest. »Tut mir leid, aber können Sie den bitte erst abnehmen, wenn ich draußen bin?«
    »Sicher.«
    »Ich mein’s ernst.« Er richtete sich auf und senkte die Stimme. »Haben Sie gut geschlafen?«
    Aamir passte seine Lautstärke an und flüsterte: »Ja, mein Junge, nicht schlecht.«
    »Tut mir leid, hier stinkt’s, was? Tut mir leid. Bisschen verstunken. Sobald Ihre Familie die Kohle lockermacht, dürfen Sie wieder nach Hause. Müssen Sie mal aufs Klo?«
    »Noch nicht. Geht’s meinem kleinen Mädchen gut? Ihrer Hand …«
    Der Mann zögerte. »Weiß nicht«, sagte er, als er endlich
wieder den Mund aufmachte. »Aber ich werd’s herausfinden und Ihnen sagen.«
    Aamir nickte.
    »Trinken Sie jetzt Ihren Saft, okay?«
    Der Mann drehte sich um und ging, schlurfte mit den Füßen über den Teppich.
    Er lauschte, bis er hörte, dass sich die Tür fest schloss und die Schritte die Treppe herunter verklungen waren. Zögerlich hob er den Saum des Kissenbezugs und sah über den Bettrand. Eine offene Dose Irn Bru und zwei Scheiben einfaches Weißbrot aufeinandergestapelt, nicht in der Mitte

Weitere Kostenlose Bücher