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In der Stille der Nacht - Thriller

In der Stille der Nacht - Thriller

Titel: In der Stille der Nacht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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verraten. Aamir, der selbst ein zweitgeborener Sohn war, hatte Omar immer am meisten geliebt. Aamir seufzte, wandte sich an seine Mutter und fragte sie, weshalb ihm Omar das angetan hatte?
    Vielleicht nahm er Drogen. Von allen seinen drei Kindern konnte sich Aamir Omar noch am ehesten als Junkie vorstellen. In seinen Laden kamen ständig Junkies, wollten etwas stehlen oder Süßigkeiten kaufen. Sie liebten Zucker. Schon vor langer Zeit war er zu dem Schluss gekommen, dass es unter Junkies ebenso viele nette Leute gab, wie sonst wo auch, die meisten waren freundlich, es sei denn, sie waren gerade auf Entzug oder brauchten unbedingt Stoff, aber das galt für fast alle Menschen.
    Nebenan war ein Getränkeladen und die Straße hoch ein Supermarkt. Dort konnte man viel leichter klauen. Aamir mochte die Junkies lieber als die Säufer.
    Omar hatte zugesehen, wie sie seinen Vater statt ihn selbst mitgenommen hatten. Nur Billal war unerbittlich geblieben. Das einzige seiner Kinder, das er eigentlich nicht besonders mochte. Aamir erfand keine Ausreden für Omar, so wie er es sonst tat, sondern er verstand ihn wirklich. Er hatte seiner Mutter dasselbe angetan, hatte zugelassen, dass sie für seine sichere Ausreise bezahlte und, wie Aamir jetzt, hatte es auch ihr nichts ausgemacht. Aamir machte es nichts aus.
    Auch sie hatte Angst gehabt. Er drückte die Hand seiner Mutter, um sich Mut zu machen und sagte ihr, sie solle aufhören, sich zu sorgen. Jetzt verstand er, warum sie sich für seine Sicherheit geopfert hatte. Als junger Mann hatte er gedacht, sie hätte bis auf den Tod kämpfen müssen, aber jetzt verstand er sie.
    Aamir fühlte sich in seinem Familienleben nicht wohl. Er
begegnete seinen Kindern mit Geringschätzung, jetzt aber waren die alltäglichen Anfeindungen des normalen Familienlebens über Nacht verpufft. Aus der Ferne, getrennt durch ein unüberwindbares Meer der Sehnsucht, begriff er, dass sie gut waren, dass sie die Werte, die er ihnen durch Kontrollen, Gängelei und Geschrei einzubläuen versucht hatte, längst verinnerlicht hatten. Wenn er sie jetzt sehen könnte, nur noch einmal in seinem Leben, dann würde er den Kopf seines Enkels küssen, die Nase in das daunengleiche Haar des Säuglings stupsen und Omar sagen, dass er eigentlich gar nicht wütend war, würde Aleesha anlächeln und ihr versichern, dass sie in all ihrer Wildheit schön war. Er würde im Dunkeln neben Sadiqa liegen und nicht daran denken, wie dick sie geworden war, dass sie den Grossteil des Betts beanspruchte und nach Bratöl roch. Er würde friedlich dort liegen und die stille Dunkelheit genießen, die Bettwäsche, würde das pulsierende grüne Licht des Radioweckers bewundern, das bis an die Zimmerdecke leuchtete.
    Der Gedanke an sein eigenes Bett löste ein Schluchzen in seiner Kehle, aber seine geprellten Rippen erstickten es wieder.
    Da waren zwei Männer, einer dessen Stimme vor Wut gepresst klang. Der andere stand weniger unter Strom und war manchmal nett, wenn sein Freund nicht im Zimmer war. Der mit der gepressten Stimme war vergangene Nacht noch einmal ins Zimmer gekommen und hatte ihm einen fiesen Schlag in die Seite versetzt und hatte bösartig gelacht, als Aamir nach Luft rang. Er hatte ihm befohlen, auf dem Bett liegen zu bleiben, als ginge es um ein Kinderspiel und gesagt, er dürfe den Kissenbezug nicht abnehmen. Aamir tat, wie ihm befohlen. Er hatte eine Überwachungskamera im
Laden und wusste, wie billig so etwas war: Vielleicht hatten sie sogar eine hier.
    Er stellte sich vor, wie er von oben gesehen wurde: ein kleiner grauer Mann im Schneidersitz auf einem riesigen grauen Bett. Ein Kissenbezug über dem Kopf, sauber, ordentlich und neben ihm eine dicke Frau mit einer Blutlache zwischen den Beinen. Sie hielt sich den Sari vors Gesicht, um ihre Tränen daran zu trocknen, sie schluchzte, aber nur aus Gewohnheit, nicht weil sie traurig war.
    Er sah, dass sie sich umsah, weit in die Ferne blickte, als säßen sie auf einem offenen Doppeldeckerbus und als wollte sie die Sehenswürdigkeiten nicht verpassen. Seine Mutter nahm seine Hand und drückte sie fest, nicht ängstlich, das nicht, hier waren keine Soldaten mit Gewehren, die nach britischen Reisepässen suchten, sondern sie drückte sie vor Aufregung, weil sie sich etwas zusammen ansahen. Und er hatte endlich auch ihre Hand genommen. Sie zeigte auf das Fenster, lächelte ein graues Lachen und die Überwachungskamera schaltete sich ab.
    Da war ein Fenster, sie hatte

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