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In der Südsee

Titel: In der Südsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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gebangt und gelitten. Immer wieder wurde er, wenn Moipu Kokosnußbrandy bereitete, von seinem Haus in die Wälder vertrieben. »Eine Maus, die im Ohr der Katze lebt«, hätte ein ruhigeres Heim gehabt, und doch sah ich nie einen Mann, den die Jahre weniger bedrückten. Er mußte uns unbedingt die Kirche zeigen, noch verziert mit dem anspruchslosen Papierschmuck des Bischofs, der letzten Arbeit fleißiger Greisenhände und der letzten irdischen Freude eines Mannes, der viel von einem Helden an sich hatte. In der Sakristei mußten wirseine geweihten Geräte betrachten und besonders ein Gewand, das eine »wahre Sehenswürdigkeit« darstellte, weil es das Geschenk eines Gendarmen war. Einem Protestanten bereitet der Eifer, mit dem erwachsene, dem Heiligtum geweihte Männer diese unbedeutenden Dinge behüten, immer einige Verlegenheit, aber es war rührend und schön, wie Pater Orens mit glänzenden Greisenaugen seine geweihten Schätze vorzeigte.
    26. August. Das Tal hinter dem Dorf verengte sich rasch zur Schlucht und war dicht besät mit Nußbäumen. Ein Fluß rauschte in der Mitte. Droben bildeten zunächst die hohen Kokospalmen ein Dach, darüber war die Schlucht von einem Bergwall zum andern mit Wolkenschleiern überhangen, so daß wir unten zwischen üppigem Pflanzenwuchs wie in einem gedeckten Treibhaus wandelten. Zu beiden Seiten standen alle hundert Meter statt der häuserlosen, niedergedrückten Paepaes von Nuka-hiva menschenreiche Häuser, und die Bewohner strömten heraus und riefen den Vorübergehenden ihr »Kaoha!« zu. Auch die Straße war bevölkert: Scharen von Mädchen, hübsch und häßlich wie in minder begünstigten Ländern; brotfruchttragende Männer; Nonnen mit einer kleinen Schutzwache von Zöglingen; ein Bursche, der sich auf einem Pferde tummelte; ein ununterbrochener Zug von Passanten, die uns begrüßten; bald war es ein Chinese, der zum Tor seines Blumengartens eilte und uns guten Tag wünschte in seinem ausgezeichneten Englisch, und etwas weiter forderten uns Eingeborene auf, uns am Wegrande niederzulassen, bereiteten uns ein Mahl aus Mumienäpfeln und unterhielten uns während des Essens mit Trommeln auf einer Blechdose. Bei aller herrlichenFülle von Menschen und Früchten ist auch hier der Tod am Werke. Die Bevölkerung zählt nach den höchsten Schätzungen im ganzen Tal von Atuona nicht mehr als sechshundert, und trotzdem nannte Bruder Michel, als ich ihn einmal zufällig fragte, zehn Menschen, die krank daniederlagen ohne Hoffnung auf Genesung. Hier konnte ich auch meine Neugier nach einem Haus im Zustande des tatsächlichen Verfalls befriedigen. Es war längs des Paepae zu Boden gefallen, die Stützen spreizten sich häßlich, Regen und Termiten zerfraßen es; was übrigblieb, schien noch gesund, aber vieles war schon verschwunden, und es war bequem zu sehen, wie die Insekten die Wände wie Brot verzehrten und Lust und Regen sie wie Vitriol anfraßen.
    Etwas voraus war ein junger Mann, sehr gut tätowiert und bekleidet mit weißen Hosen und einem Flanellhemd, unbekümmert einhergeschritten. Plötzlich, ohne sichtbaren Grund, wandte er sich um, ergriff Besitz von uns und führte uns, ohne Widerspruch zu dulden, einen Seitenpfad entlang zum Flußufer. Dort, in einem Winkel von bezauberndster Lieblichkeit, bat er uns auszuruhen. Der Strom brauste dicht an uns vorüber, ein Dach unbeschreiblich dichten Grüns überschattete uns, und nach kurzer Abwesenheit brachte er eine Kokosnuß, ein Stück Sandelholz und einen Handstock, den er zu schnitzen begonnen hatte; die Nuß zur sofortigen Erfrischung, das Sandelholz als kostbares Geschenk und den Stock in der Einfalt seiner Eitelkeit, um Vorschußlorbeeren zu ernten. Nur ein Stück war bereits geschnitzt, obgleich der ganze Stock schon durch Bleistiftstriche eingeteilt war; als ich vorschlug, ihn zu kaufen,fuhr Poni, wie der Künstler hieß, entsetzt zurück. Aber ich ließ mich nicht bewegen und verweigerte einfach die Rückgabe, denn ich hatte mich seit langer Zeit gewundert, warum ein Volk, das in seinen Tätowierungen eine so starke Begabung für arabeske Empfindungen bewies, dies Talent sonst in keiner Weise entfaltete. Hier hatte ich endlich etwas gefunden, was die Fähigkeit der Anwendung in anderem Material belegte, und ich hielt die Nichtvollendung für ein glückliches Zeichen der Echtheit in diesen Zeiten weitverbreiteten Fälschungsschwindels. Ich war nicht in der Lage, meine Gründe und Absichten Poni klarzumachen, ich konnte den

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