In der Südsee
geworden sei, welche regennassen und schmutzigen Hafenstädte er seitdem durchwandert, in welch dumpfen und lärmenden Kneipen er sein Vergnügen gefunden und in welchem Krankenhaus er den letzten Traum von den Marquesas geträumt hatte. Sie aber, die Glücklichere, lebte weiter auf ihrer grünen Insel. Die Unterhaltung in diesem weltverlorenen Haus des Gebirges drehte sich hauptsächlich um Mapiao und seine Besuche auf der »Casco«, die Nachricht hatte sich wahrscheinlich schon über die ganze Insel verbreitet, so daß es kein Paepae auf Hivu-oa gab, wo man sie nicht erregt erörterte.
Etwas tiefer abwärts gelangten wir zu einem Festplatz im Grunde der Schlucht. Zwei Pfade durchschnitten ihn und kreuzten sich in der Mitte. Abgesehen von dieser Teilung, war das Amphitheater sonderbar vollkommen und ähnelte römischen Bauten, wenn es auch roher war. Dichtes Laubwerk und das Gebirgsmassiv machten es angenehm schattig. Auf den Bänken saßen junge Leute in Gruppen oder allein. Ein junges Mädchen von ungefähr vierzehn Jahren, stattlich und reizend, erregte die Aufmerksamkeit von Bruder Michel. Warum sie nicht in der Schule sei? – Sie habe die Schule schon hinter sich. – Was sie hier tue? – Sie lebe jetzt hier. – Warum? – Keine Antwort, nur tiefes Erröten. Es lag keine Strenge in Bruder Michels Benehmen, die Verwirrung des jungen Mädchens sprach deutlich genug. »Sie schämt sich,« bemerkte der Missionar, als wir fortritten. Nahebei im Flußbadete ein herangewachsenes Mädchen nackt in einer Vertiefung zwischen zwei stufenartigen Steinen, und wir sahen mit Vergnügen, wie hastig und ehrlich erschrocken sie zu ihren bunten Unterkleidern stürzte. Selbst in diesen Töchtern der Kannibalen war das Schamgefühl lebendig.
In Hiva-oa wurde wegen des eingewurzelten Kannibalismus der Eingeborenen der überlieferte Glaube auf roheste Art mit Füßen getreten. Hier wurden drei fromme Häuptlinge unter eine Brücke gesetzt und die Frauen des Tals gezwungen, über ihre Häupter hinweg auf der Straße vorüberzuziehen: die armen entehrten Gesellen saßen da, wie alle Zuschauer übereinstimmend berichteten, in Tränen aufgelöst. Nicht nur ein Weg wurde über den Versammlungsplatz gebahnt, sondern zwei, die sich in der Mitte schnitten. Es ist kein Grund zur Annahme, daß es absichtlich geschah, denn es war vielleicht unmöglich, den vielen heiligen Stätten der Inseln auszuweichen. Aber es hatte seine Folgen. Ich habe bereits erzählt von der Achtung vor den Toten bei den Marquesanern, die einen so starken Gegensatz bildet zu der Gleichgültigkeit gegen den Tod. Am frühen Morgen dieses Tagesrittes begegneten wir beispielsweise einem unbedeutenden Häuptling, der natürlich fragte, wohin wir wollten, und uns einen besseren Vorschlag machen wollte: »Warum zeigst du ihm nicht lieber den Friedhof?« Ich sah ihn, er war eben erst eröffnet worden, der dritte in acht Jahren. Es gibt große Baumeister in Hiva-oa, ich sah auf meinem Ritt Paepaes, die kein europäischer Maurermeister so vollendet bauen könnte, die schwarzen vulkanischen Steine waren höchst genau gefügt, die Ecken scharfund die Flächen ganz eben, aber die Umfassungsmauer des neuen Friedhofs übertraf alles und glich einem Werk der Liebe. Das Gefühl der Ehrfurcht vor den Verstorbenen ist also nicht erloschen. Aber man beachte die Folgen rücksichtsloser Vergewaltigung menschlicher Gläubigkeit. Von den vier Gefangenen in Atuona waren drei natürlich Diebe, der vierte war wegen Grabschändung verurteilt. Er hatte ein Stück des Friedhofes geebnet, um, wie er dem Gericht mitteilte, ein Festmahl auf dem Platz zu veranstalten, und erklärte, er habe keinen Gedanken an ein Unrecht gehabt. Warum auch? Er war mit aufgepflanztem Bajonett gezwungen worden, die heiligen Stätten seines Glaubens zu zerstören, und als er zurückgeschreckt war, hatte man ihn als abergläubischen Narren verlacht. Und nun erwartete man von ihm, er solle unseren europäischen Aberglauben achten wie aus einer zweiten Natur heraus.
Fünfzehntes Kapitel
Die beiden Häuptlinge von Atuona
Zufällig hatte die »Casco«, als sie die Bordelais-Meerenge nach Taahauku durchfurchte, sich auf der einen Seite der gegenüberliegenden Insel Tauata stark genähert, wo Häuser in einem Hain hoher Kokospalmen sichtbar wurden. Bruder Michel deutete auf den Fleck. »Ich bin hier zu Hause,« sagte er, »ich glaube, mir gehören viele dieser Kokospalmen, und in jenem Hause wohnt meine Frau Mutter mit
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