In der Südsee
Lagune vollständig abgeschlossen ist bis auf einen einzigen Punkt von kaum schiffbarer Breite, und bedenke, daß durch Flut und Winde stundenlang eine ungeheure Wassermenge sich in dieser Korallenfalte angesammelt hat, daß dann die Ebbe kommt und der Wind nachläßt: die offenen Schleusen großer Wasserbecken bei uns zu Hause geben eine Vorstellung von der unhemmbaren Strömung.
Kaum hatten wir den Kanal befahren, als alle Köpfe sich über Bord beugten. Denn das seichte Wasser unterunserem Kiel wandelte sich plötzlich zu überraschenden Tönungen von Blau und Grau; in der durchsichtigen Flut sah man die Verästelungen und Blüten der Koralle, und die Fische der Binnensee schossen sichtbar unter uns hin und her, mit Punkten, Streifen und Köpfen wie Papageien. Ich habe manchmal Gold ausgegeben für Kuriositäten, aber niemals für etwas so Einzigartiges wie für diesen seltenen Blick über die Schiffsreling in der Lagune von Fakarava. Der Leser möge sich jedoch nicht durch falsche Hoffnungen täuschen lassen. Ich bin, glaube ich, ein dutzendmal in verschiedenen Teilen des Pazifischen Ozeans in Atolle hineingefahren, aber der Anblick hat sich nie wiederholt. Diese wunderbare Schönheit und Klarheit des Unterseelebens und diese Massen von Regenbogenfischen haben mich nicht ein zweites Mal entzückt.
Bevor wir unsere Augen von diesem hinreißenden Bilde wenden konnten, war der Schoner durch die Kopfenden des Riffes geglitten und lag schon ganz in der Binnensee. Die Küsten ringsumher sind so niedrig, und die Lagune selbst ist so groß, daß sie an den meisten Stellen ohne Unterbrechung bis zum Horizont zu reichen schien. Hier und dort, wo das Riff ein Inselchen wie einen Siegelring auf einem Finger trug, sah man leicht angedeutet Palmen stehen. Stellenweise verlief die grüne Böschung des dichten Waldes einige Meilen weit, und vor uns blitzten unter den höchsten Gipfeln ein paar Häuser weiß auf: Rotoava, die Hauptniederlassung der Paumotus. In dreimaligem Kreuzen gelangten wir dorthin und warfen in der Nähe der Küste Anker, im ersten ruhigen Wasser seit unserer Ausfahrt von San Franzisko, fünf Faden tief, wo der Menschden ganzen Tag über Bord blicken kann, hinunter zu dem verschwimmenden Kabelstrang, den Korallenbänken und den bunten Fischen.
Fakarava wurde nur aus Schiffahrtsgründen zum Sitz der Regierung gewählt. Es liegt nicht im Mittelpunkt der Inselwelt, die Produkte sind selbst für eine niedrige Insel geringfügig, die Bevölkerung ist weder zahlreich noch im Vergleich zu den Bewohnern anderer niedriger Inseln fleißig. Aber die Lagune hat zwei gute Durchfahrten, leewärts und windwärts, so daß sie unter allen Windverhältnissen angefahren und verlassen werden kann; und dieser Vorteil war für die Regierung versprengter Inseln entscheidend. Ein Korallenpier, Landungsstege, eine Hafenbeleuchtung auf einem Block und Pfeiler und zwei geräumige Regierungsbungalows in einer hübschen Umzäunung verliehen dem Nordende von Rotoava den Anschein großer Bedeutung. Das wird noch betont durch ein leeres Gefängnis und eine Gendarmerie, die mit Plakaten über und über beklebt ist in tahitischer Sprache, landgesetzlichen Ankündigungen von Papeete und republikanischen Gefühlsergüssen von Paris, gezeichnet (ein wenig veraltet): »Jules Grévy, Perihidente.« Ganz am anderen Ende der Stadt steht eine katholische Kapelle mit Glockenturm, und dazwischen auf weichem weißen Korallensand, unter dem luftigen Baldachin der Kokospalmen, liegen unregelmäßig verstreut die Eingeborenenhäuser, die einen dicht an der Lagune, aus Vorliebe für frische Luft, die andern rückwärts unter den Palmen wegen des Schattens.
Keine Menschenseele war zu sehen. Wäre nicht das Donnern der Brandung an der Außenseite gewesen,so hätte man überall in dieser Hauptstadt eine Nadel fallen hören können. Es lag etwas Erregendes in dieser erwartungsvollen Stille, aber noch erregender war das überraschende Getöse. Hier vor uns erstreckte sich ein Meer bis zum Horizont, gekräuselt wie ein Binnensee, und dicht hinter uns brandete ein anderes Meer mit heftiger Wut gegen das Land. Abends brachte man die Laterne, die den verödeten Pier erleuchtete. In einem Hause sah man Lichter und hörte Stimmen, die Bevölkerung, so erzählte man uns, saß dort beim Kartenspiel. Etwas weiter weg sahen wir aus der tiefen Finsternis des Palmenhains die Glut verbrannter Kokosnußschalen leuchten und rochen ihren aromatischen Duft, Überbleibsel
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